Seit mehr als 100 Jahren kennt man die Alzheimer-Krankheit – das langsame, nicht aufzuhaltende Vergessen: Doch nun zeigt sich, dass Wissenschaftler seit Jahrzehnten auf das falsche Pferd bei der Suche nach den Ursachen gesetzt haben. Die für die Erkrankung typischen Ablagerungen im Gehirn wurden falsch interpretiert.
Die Forscher gingen bisher davon aus, dass die für die Krankheit charakteristischen Ablagerungen im Gehirn, die so genannten Beta-Amyloid-Plaques, eine Folge, vielleicht sogar die Ursache für das Vergessen sind.
Doch nun zeigt ein Forscherteam um Rudolph Tanzi vom Massachusetts General Hospital in Boston, dass die Ablagerungen, die oft auch als „Müll“ bezeichnet werden, wohl doch kein Müll sind.
In Zellkulturen konnten sie nachweisen, dass die Plaques durchaus eine schützende Funktion haben. Sie hemmen nämlich Candida-Hefezellen, Streptokokken und andere Bakterien in ihrem Wachstum.
Plaquesgewebe, das künstliche hergestellt wurde und solches, das aus den Gehirnen von Alzheimerpatienten isoliert wurde, wirkt praktisch wie Antibiotikum.
Im Journal „PloS One“ folgern die Wissenschaftler deshalb, dass die Ablagerungen vielleicht ein Teil des angeborenen Immunsystems sind. Möglicherweise würde im Gehirn von Alzheimerkranken deshalb so viel Beta-Amyloid produziert, weil zuvor eine Infektion mit bisher nicht bekannten Bakterien oder Pilzen oder aber eine Verletzung erfolgte.
Man müsse nun herausfinden, was das Immunsystem gerade im Alter dazu veranlasse, vermehrt die Plaques zu produzieren, und welche Gene dabei die Produktion, Funktion und den Abtransport der Amyloid-Plaques kontrollierten.
Wäre das entschlüsselt, so könnten vielleicht auch Therapien entwickelt werden, die diese möglicherweise krankhafte Überreaktion des Immunsystems vermindern.
Dass die Plaques bisher falsch eingeschätzt wurden, zeichnete sich in den vergangenen Jahren bereits ab. Denn die Ablagerungen wurden nicht nur bei Kranken, sondern auch in den Hirnen von völlig Gesunden gefunden.
Die Forscher, die in den Plaques den Kern der Krankheit sahen, müssen vielleicht der zweiten Theorie mehr Gewicht geben: dass Tau-Proteine, die sich in den Zellen fehlverhalten, die Ursache des Vergessens sind.
Quelle: Welt Online