Eine neue Studie zeigt: Schon eine geringe Überfunktion der Schilddrüse kann gravierende Auswirkungen auf den Organismus haben. Viele Menschen bemerken sie jedoch nicht.
Sie ist ein recht unscheinbares Organ in unserem Kehlkopf: die Schilddrüse. Doch sie beeinflusst sehr viele Stoffwechselprozesse, und nun zeigt sich, dass bereits geringere Funktionsstörungen dieses Organs das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen.
Eine große asiatische Studie hatte Mitte 2010 ergeben, dass das Schlaganfallrisiko bei jungen Menschen mit Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) um 44 Prozent erhöht ist.
Offenbar kann aber sogar eine frühe Form der Überfunktion die Gesundheit gefährden: Immer wieder lieferten Studien in der Vergangenheit Hinweise darauf, dass die sogenannte subklinische Schilddrüsenüberfunktion aufs Herz geht: es traten häufiger Herzrhythmusstörungen auf.
Doch andere Studien fanden nichts, sodass es bislang keine endgültige Aussage zu den Risiken einer subklinischen Schilddrüsenüberfunktion gab. Eine von der internationalen Thyroid Studies Collaboration durchgeführte Metaanalyse von zehn prospektiven Studien mit mehr als 50.000 Teilnehmern klärte nun endlich die Datenlage.
Im Mittelpunkt der Schilddrüsenfunktion stehen die von ihr produzierten jodhaltigen Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4 bzw. Tetrajodthyronin) und T3 (Trijodthyronin). Wie viel T3 und Thyroxin produziert werden, bestimmt die Hirnanhangsdrüse im Gehirn als oberstem Kontrollorgan mittels des regulierenden Hormons Thyreotropin (TSH).
Unter bestimmten Bedingungen kann es jedoch passieren, dass sich die Schilddrüse der Kontrolle der Hirnanhangsdrüse und damit auch der Kontrolle des TSH entzieht – bei bis zu zwei Prozent der Bevölkerung ist dies der Fall. Die Schilddrüse produziert bei ihnen mehr Schilddrüsenhormone.
Hinweise auf eine beginnende Überfunktion sind im Blut feststellbar
Zunächst nimmt der TSH-Wert im Blut ab, obgleich die Werte für die Schilddrüsenhormone noch ziemlich normal sind. Liegt der TSH-Wert unter 0,45 mIU/l (Milli-Internationale-Einheiten pro Liter), dann spricht man von der einer subklinischen Schilddrüsenüberfunktion.
Sie kann langfristig zu einer deutlichen Überfunktion werden: Denn mit der Zeit steigen die Hormonwerte an, wodurch das TSH völlig unterdrückt wird. Manche Menschen fühlen sich im Frühstadium einer Schilddrüsenüberfunktion gesund, andere haben dagegen bereits erste Beschwerden. Das ist nicht verwunderlich.
Die Zunahme von Schilddrüsenhormonen im Blut hat nämlich gravierende Auswirkungen auf den Organismus, da sich die Stoffwechselprozesse krankhaft steigern. Dadurch kommt es zu Gewichtsverlust und Symptomen wie verstärktes Hungergefühl, Durchfall, Nervosität, Haarausfall, Schweißausbrüche, Herzklopfen und Wärmeempfindlichkeit.
Bei der erwähnten Metaanalyse hatten knapp 2200 Probanden eine subklinische Hyperthyreose. Die Analyse ergab für sie eine um das 1,24-Fache erhöhte Gesamtsterberate, eine im Vergleich zur „Normalbevölkerung“ um das 1,29-Fache erhöhte Sterberate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ein um das 1,68-Fache erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern.
Das Risiko für Vorhofflimmern und einen etwaigen Tod aufgrund einer Herz-Kreislauf-Erkrankung stieg noch mehr, wenn der TSH-Wert unter 0,1 mIU/l lag.
Blutgerinnsel können Schlaganfall auslösen
„Beim Vorhofflimmern können sich Blutgerinnsel im linken Vorhof des Herzens bilden. Gelangen sie über die Blutbahn ins Gehirn, können sie einen Schlaganfall auslösen“, sagt Privatdozent Joachim Feldkamp, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie und Diabetologie der Städtischen Kliniken Bielefeld-Mitte.
Herz-Kreislauf-Vorerkrankungen wurden berücksichtigt, Alter und Geschlecht der Patienten spielten bei der Metaanalyse keine Rolle. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) bekräftigte aufgrund der neuen Ergebnisse ihre Empfehlung, eine Schilddrüsenüberfunktion bereits in einem frühen Stadium zu behandeln.
„Es gibt noch einen weiteren Grund, der für eine frühe Therapie spricht. Bei einem niedrigen TSH-Wert verringert sich auch die Knochendichte, das Risiko für Knochenschwund, also Osteoporose, erhöht sich. Eine bereits bei subklinischer Schilddrüsenüberfunktion einsetzende Behandlung der Schilddrüse kann das Osteoporoserisiko wieder verringern“, sagt Feldkamp.
Im TSH-Bereich zwischen 0,1 und 0,4 sollten die Ursachen für den niedrigen TSH-Wert abgeklärt werden, aber einen zwingenden Grund zu therapieren, sieht Feldkamp hier noch nicht. „Es sei denn, es hat jemand gesundheitliche Beschwerden infolge der TSH-Verringerung wie innere Unruhe, Schlafstörungen oder einen erhöhten Puls.“ Aber was ist bei einem TSH unterhalb von 0,1? „Da behandle ich unbedingt.“
Der Schilddrüsenexperte Professor Roland Gärtner vom Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München sieht das ähnlich: „Man behandelt nicht Laborwerte, sondern den Patienten. Der TSH ist eine wackelige Größe, weil viele Einflussfaktoren möglich sind. Die Ursache für die TSH-Absenkung muss vor einer Behandlung abgeklärt werden.“
Weitere Untersuchungen wie Ultraschall oder Szintigramm könnten zeigen, ob die Schilddrüse selbst ein Problem hat oder ob sich der TSH-Wert durch äußere Einflüsse verringert hat. Das könnten beispielsweise die Einnahme von Kortison oder längeres Fasten sein, aber auch eine schwere Erkrankung wie eine Lungenentzündung, oder Schilddrüsenhormone als Medikament können den TSH-Wert senken. „Werden Schilddrüsenhormone zu hoch dosiert, geht der TSH-Wert in den Keller“, sagt Joachim Feldkamp.
Autoimmunerkrankung häufige Ursache bei jüngeren Menschen
Bei jüngeren Menschen zwischen 20 und 40 Jahren ist die Ursache für die (subklinische) Überfunktion häufig eine Autoimmunerkrankung. Bestimmte Autoantikörper regen die Schilddrüsenzellen dazu an, mehr Schilddrüsenhormone zu produzieren.
Typisch dafür ist die sogenannte Basedow-Krankheit. An dieser Immunhyperthyreose leiden fünfmal mehr Frauen als Männer. Sie ist die Ursache bei vier von zehn Schilddrüsenüberfunktionen.
Bei älteren Menschen führen meist heiße Knoten in der Schilddrüse zur Überfunktion. Im medizinischen Fachjargon spricht man von Autonomie.
„Das ist eine Erkrankung infolge Jodmangels, der früher ausgeprägter war als heute“, sagt Gärtner. Deshalb sind vor allem ältere Menschen davon betroffen. Bei einer Autonomie sind mehrere, abgrenzbare Bereiche oder sogar die ganze Schilddrüse gegenüber der TSH-Wirkung ganz oder teilweise unempfindlich geworden.
Sowohl die Autonomie als auch die Immunhyperthyreose sind aber behandelbar. So können Thyreostatika bei immunologischen Ursachen die Bildung oder Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen verringern und die immunologischen Prozesse beeinflussen.
„Betroffene sollten diese Medikamente mindestens sechs Monate, besser aber zwölf bis 18 Monate einnehmen. Dann haben Patienten mit einem Morbus Basedow eine 60-Prozent-Chance, dass die Erkrankung ausheilt“, sagt Feldkamp.
Eine Autonomie wird dagegen mit einer Radio-Jod-Therapie oder einer Operation, bei der die Schilddrüse teilweise oder ganz entfernt wird, behandelt. Bei einer Radio-Jod-Therapie nimmt der Betroffene eine Kapsel mit radioaktivem Jod-131 ein.
Dieses „strahlende“ Jod wird von heißen Knoten, das heißt übermäßig hormonproduzierendem Schilddrüsengewebe, besonders stark aufgenommen und zerstört.
Quelle: Welt Online