20 Millionen Deutsche leiden an Rheuma. Das Problem: Viele Betroffene gehen zu spät zum Arzt. Doch auch der hat bei mehr als 100 Krankheitsbildern so seine Probleme mit der Diagnose.
Rheuma? Das ist doch die Krankheit, bei der die Gelenke entzündet sind. So lautet eine landläufige Einschätzung. Tatsächlich umfasst Rheuma aber mehr als 100 Krankheitsbilder.
„Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation sind unter Rheuma alle Schmerzen am Bewegungsapparat mit Tendenz zur Chronifizierung zu verstehen“, erläutert Professor Matthias Schneider, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie in Berlin. Schätzungsweise rund 20 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen.
Die rheumatischen Erkrankungen werden nach ihren Erscheinungsbildern in vier Hauptgruppen zusammengefasst: degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen, entzündlich-rheumatische Erkrankungen, Weichteilrheumatismus und Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden. „Zahlenmäßig die größte Gruppe sind Patienten mit Verschleißerkrankungen“, erläutert Edmund Edelmann vom Berufsverband Deutscher Rheumatologen.
Durchblutung im Knorpel fehlt
Die bekannteste Form der degenerativen rheumatischen Erkrankung ist die Arthrose, vor allem in der Hüfte oder im Kniegelenk: Knorpel – der Stoßdämpfer im Gelenk – wird nicht durchblutet. Dadurch kann er sich nicht regenerieren. Es kommt zu Abnutzungserscheinungen, so dass er irgendwann keine Pufferwirkung mehr hat.
Die Gelenke schmerzen vor allem bei Belastung. „Die erste Vorbeugemöglichkeit ist, Fehl- und Überbelastungen zu vermeiden und die Gelenke zu bewegen“, sagt Professor Erika Gromnica-Ihle, Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga.
Auch bei vielen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sind die Gelenke betroffen – zum Beispiel bei der Haupterkrankung dieser Gruppe, der Rheumatoiden Arthritis, auch chronische Polyarthritis genannt. Sie äußert sich in ziemlich eindeutigen Frühsymptomen: Mehrere Gelenke sind über einen Zeitraum von mehreren Wochen geschwollen. „Typisch ist ein Ruheschmerz etwa in der zweiten Nachthälfte oder am Morgen. Er geht mit meist länger andauernder Gelenksteifigkeit einher“, erläutert Edelmann.
Entzündung in der gesamten Wirbelsäule
Bei der zweiten großen Untergruppe der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen – den seronegativen Spondyloarthritiden – kann die Entzündung sowohl Gelenke als auch die gesamte Wirbelsäule betreffen. Das bekannteste Krankheitsbild ist Morbus Bechterew. Seltener sind entzündlich-rheumatische Bindegewebserkrankungen und Gefäßentzündungen.
Bei der dritten Hauptgruppe der rheumatischen Erkrankungen, dem Weichteilrheumatismus, wird die Funktion von Muskeln, Sehnen oder Bändern gestört, aber nicht unbedingt dauerhaft. Beispiele sind Sehnenscheiden- oder Schleimbeutelentzündungen.
Eine sehr ausgedehnte Form ist das schwer zu greifende Fibromyalgie-Syndrom mit chronischen Schmerzen in mehreren Körperteilen. Zu den Begleitfaktoren zählen Schlafstörungen und starke Müdigkeit. „Es gibt weder Laborbefunde, die die Erkrankung beweisen, noch Medikamente, welche die Krankheit beseitigen“, sagt Gromnica-Ihle.
Frühe Diagnose wichtig
Zur vierten Hauptgruppe schließlich zählen Folgen von Erkrankungen, die außerhalb der Bewegungsorgane auftreten. Dabei haben Stoffwechselerkrankungen einen großen Anteil – zum Beispiel starke Rückenschmerzen oder gar Knochenverlust bei Osteoporose oder Anreicherung von Harnsäurekristallen und folgende Entzündung in Gelenken bei Gicht.
Bis auf einzelne Formen von Weichteilrheumatismus gilt für alle rheumatischen Erkrankungen: „Was an Schaden da ist, können wir nicht mehr beheben. Wir können nur die weitere Schädigung des Körpers verhindern“, betont Schneider.
Daher ist es immens wichtig, dass Patienten möglichst frühzeitig zum Arzt gehen. „Günstig ist immer, wenn der Hausarzt die Diagnose stellt und den Patienten dann an den richtigen Facharzt weiter vermittelt“, ergänzt Edelmann. Für Verschleißerkrankungen ist der Orthopäde zuständig, für alle anderen Krankheitsbilder der Rheumatologe.
Patienten gehen spät zum Arzt
In die Sprechstunde von Rheumatologe Schneider etwa kommt nur die Hälfte der Patienten mit einer rheumatischen Arthritis innerhalb des ersten halben Jahres. „Der Patient selbst geht zu spät zum Arzt, weil er glaubt, die Beschwerden gingen wieder weg oder weil er deren Dauer unterschätzt. Schließlich beginnt diese Krankheit meist nicht mit einem Paukenschlag, sondern schleichend.“ Dann koste der Weg über den Hausarzt Zeit. Und oft habe ein Facharzt kurzfristig keinen Termin frei. Das ist auch die Beobachtung von Gromnica-Ihle. „Hier kann ein Anruf des Hausarztes den Weg ebnen“, rät sie.
Wenn Diagnose und Therapieplan stehen, suchen sich viele Patienten neben dem Mediziner weitere Ansprechpartner, etwa in Selbsthilfegruppen. Denn sie werden den Rest ihres Lebens von der Krankheit begleitet sein. „Rheuma-Patienten wollen im Prinzip ein ganz normales Leben weiterführen. Doch die Ärzte haben in ihren Sprechstunden gar keine Zeit, sich mit diesem Aspekt der Krankheit ausreichend auseinanderzusetzen“, sagt Gromnica-Ihle. Daher seien der Austausch mit anderen Betroffenen und der Kontakt zu geschulten Beratern außerhalb der Arztpraxis ganz besonders wichtig.
Schneider weist auch auf psychologische Aspekte von Rheuma hin: „Die Patienten sprechen ungern über ihre Krankheit. Wenn ein Maurer mit einer entzündlichen Gelenkerkrankung jedoch einfach weiter seiner Arbeit nachgeht, ist das sicherlich kontraproduktiv und nicht ewig machbar.“ Ergänzend zu einer Selbsthilfegruppe könne daher ein Psychologe beim Umgang mit der Krankheit helfen.
Quelle:Welt Online