Der Fötus auf dem Weg zum gläsernen Patienten

Schon bald lassen sich beim Fötus im Mutterleib Tausende Erbfehler mit einfachen Bluttests erkennen. Enorme Gewinne winken – kein Wunder, denn Eltern wollen gesunde Kinder. Ein Alptraum für Ethiker,

Seit dem 20. August dieses Jahres ist er in Deutschland auf dem Markt: ein vorgeburtlicher Bluttest auf das Down-Syndrom. Schwangere müssen damit nicht mehr fürchten, nach einer Fruchtwasseruntersuchung ihr Baby zu verlieren.

Es gebe viele Anfragen dazu in den Praxen, erklärt Susanna Kramarz vom Berufsverband der Frauenärzte. Die Blutanalyse komme jedoch nur für werdende Mütter infrage, bei denen das normale Screening im ersten Schwangerschaftsdrittel Verdachtsmomente für genetische Veränderungen ergeben habe.

Menschen mit Down-Syndrom haben einen Erbgutabschnitt zu viel. Das Chromosom 21 liegt bei ihnen dreifach statt nur zweifach vor, daher auch die Bezeichnung Trisomie (Verdreifachung) 21. Charakteristisch sind körperliche Auffälligkeiten und eine verminderte Intelligenz.

Der Test sei „ausschließlich schwangeren Frauen zugänglich, die sich in der 12. Schwangerschaftswoche oder darüber befinden und die ein erhöhtes Risiko für Trisomie 21 beim ungeborenen Kind tragen“, heißt es beim Hersteller LifeCodexx.

Kritiker sprechen von Diskriminierung

Dennoch gibt es viele Kritiker. „Ich kann mich nicht damit abfinden, dass mit diesem Test ein weiteres Mittel geschaffen wird, behinderte Menschen zu diskriminieren, denn Menschen mit Down-Syndrom werden damit in ihrem Grundrecht, ihrem Recht auf Leben, diskriminiert“, bedauerte der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, die Markteinführung. Bereits heute entschieden sich über 90 Prozent der Eltern bei dieser Diagnose für eine Abtreibung.

Für die neue Analyse reicht eine Blutprobe der Mutter – bislang mussten Ärzte eine Fruchtblasenpunktion vornehmen, die medizinische Probleme bis hin zum Tod des Ungeborenen verursachen kann. Nach Einschätzung von LifeCodexx könnte der „Praena-Test“ allein in Deutschland jährlich bis zu 700 Kindern das Leben retten.

Druck zur Abtreibung wächst

Viele Experten befürchten, dass werdende Eltern sich künftig noch stärker gedrängt fühlen, ein genetisch auffälliges Kind abtreiben zu lassen. Schon jetzt sei häufig zu hören, dass man doch heutzutage kein behindertes Kind mehr bekommen müsse.

Sich dem zu verweigern, dazu gehöre immer mehr Mut, geben Kirchenvertreter und Ethiker zu bedenken. Ihnen geht es um generelle Fragen zur Pränataldiagnostik und zum Recht auf Leben.

Zu hinterfragen sei, ob werdende Eltern in Folge der künftig immer mehr Diagnosemöglichkeiten immer mehr nicht der „Norm“ entsprechende Kinder abtreiben lassen. Mit dem Wissen über ein ungeborenes Kind werde die Gefahr dafür größer.

Mehr als 3000 Störungen

Einem Beitrag in „Science Translational Medicine“ zufolge gibt es mehr als 3000 Störungen, die auf der Veränderung eines Gens beruhen. Einzeln genommen sind sie selten, betreffen aber insgesamt etwa ein Prozent aller Neugeborenen. Zu den gravierenden Krankheiten gehört zum Beispiel die Mukoviszidose.

Eine Gruppe um Stephen Quake und Christina Fan von der Stanford Universität, die ebenfalls einen Down-Syndrom-Bluttest entwickelt hat, warf kürzlich im Fachblatt „Nature“ einen Blick in die Zukunft: Im ersten und zweiten Schwangerschaftsdrittel könnten lebensbedrohliche Erkrankungen mit medizinischen Komplikationen untersucht werden, schrieben die US-Forscher.

Gegen Ende der Schwangerschaft könnten es beispielsweise Stoffwechselstörungen sein, die einer sofortigen Therapie nach der Geburt bedürfen. „Wir gehen davon aus, dass es keine technischen Barrieren und viele praktische Anwendungen gibt, das gesamte fetale Genom ohne invasive Methoden zu bestimmen.“

Immenses Interesse an Tests

Das Interesse an Tests, mit denen sich ohne riskanten körperlichen Eingriff Genfehler bei Feten nachweisen lassen, sei weltweit enorm, schreibt Diana Bianchi vom Floating Hospital for Children in Boston (US-Staat Massachusetts) in „Nature Medicine“.

„Die vorgeburtliche Erkennung von Feten mit Trisomie 21 ist ein Hauptziel aller Sreening-Programme in den Industrieländern“, heißt es in ihrem Review. Die jüngsten Fortschritte auf diesem Gebiet seien enorm. Seit Januar 2011 habe es mindestens zehn verschiedene große klinische Studien nichtinvasiver Tests auf Trisomie 21, 18 und 13 gegeben.

Die Erkennungsraten seien zumindest beim Down-Syndrom nahezu perfekt, es gebe kaum falsch positive Resultate. Auch wenn es viele kritische Stimmen zum raschen großflächigen Einsatz gebe – die Trisomie-21-Analyse auf Basis mütterlicher Blutproben sei bereits klinische Realität.

In den USA und China wird bereits eifrig getestet

Allein in den USA und China habe es schon Zehntausende solcher Tests gegeben. Schwieriger sei bislang noch die zuverlässige Diagnose von Trisomie 18 und 13 mittels nichtinvasiver Bluttests.

In den vergangenen drei Jahrzehnten sei es bei den pränatalen Diagnosen vor allem darum gegangen, werdenden Eltern eine informierte Wahl zu ermöglichen, erläutert Bianchi. Dieses Denkmuster ändere sich nun.

„Wir sind an einem Punkt, an dem das Ziel ausgeweitet werden kann und werden sollte, um mit den genetischen und genomischen Daten den Weg zu personalisierten Behandlungen von Feten zu ebnen.“

Enorme Fortschritte bei vorgeburtlichen Untersuchungen

Die technischen Fortschritte bei vorgeburtlichen Untersuchungen in jüngster Zeit seien enorm, das zeige eine Vielzahl von Studien zum Thema. Nur wenige Analysen aber beschäftigten sich mit den Folgen für die Therapiemöglichkeiten bei Feten.

„Schließlich könnte man argumentieren, dass personalisierte medizinische Ansätze dann die größten Erfolgsaussichten haben, wenn sie möglichst früh ansetzen, im Mutterleib oder bei der Geburt.“

Zudem gebe es die praktischen und ethischen Konsequenzen zu bedenken und zu diskutieren, bevor sich ein Paralleluniversum kommerzieller Interessen außerhalb des Gesundheitssystems etabliere.

Genauere Analyse möglich

Als erfolgreiche Neuentwicklung in der pränatalen Diagnostik nennt Bianchi sogenannte Microarrays (SNP-Arrays), mit denen sich Chromosomenanomalien in höherer Auflösung erfassen lassen als mit der herkömmlichen Untersuchung, der Karyotypisierung.

Klinische Konsequenzen bleiben unklar

Kritisch sei bei einem breiten Einsatz pränataler Microarray-Tests vor allem zu sehen, dass für viele der erkennbaren Abweichungen gar nicht klar sei, was für klinische Konsequenzen sie haben können. Eltern werden so mit Sorgen und Entscheidungen konfrontiert, ohne dass sich abschätzen lässt, ob dem Fetus wirklich funktionelle Einbußen drohen.

Bereits weit verbreitet seien Tests, mit denen sich nichtinvasiv mit einer Blutprobe der Mutter bestimmen lässt, ob ein Kind rhesuspositiv oder rhesusnegativ ist. Dies ist wichtig, weil rhesusnegative Mutter mit einem rhesuspositiven Kind bei der Geburt kleine Mengen kindlichen Blutes in den Kreislauf übertragen bekommen können. Dort wird die Bildung von Antikörpern angeregt, bei einer erneuten Schwangerschaft können diese lebensbedrohlich für das Ungeborene sein. Solchen Mütter wird deshalb bislang vorbeugend ein bestimmtes, aus Spenderblut gewonnenes Immunglobulin gespritzt.

Theoretisch sei es wohl möglich, künftig mit einem Test sowohl einzelne Gene betreffende Veränderungen als auch Abweichungen bei den Chromosomen festzustellen, erläutert Bianchi. Zudem werde es sicher zielgerichtete, auf die Risikosituation des jeweiligen Feten zugeschnittene Screeningverfahren geben.

Vielversprechend sei zudem ein weiterer Ansatz: die Analyse des fetalen Transkriptoms, derjenigen Bereiche im Erbgut, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der Embryonalentwicklung in RNA umgesetzt werden, also aktiviert sind.

Früh gezielt gegensteuern

Es sei möglich, bestimmte Marker für typische Komplikationen zu erkennen. Damit wiederum könnten Ärzte gezielt gegensteuern. Als ein Beispiel wird die Präeklampsie genannt, die bei Schwangeren zu Bluthochdruck und Eiweißausscheidung über den Urin führt.

Die Untersuchung des fetalen Transkriptoms lasse sich zudem dazu nutzen, Probleme wie sogenannte intrauterine Wachstumsretardierungen – Minderwuchs durch krankhafte Störungen – besser zu verstehen. Erste Studien dazu ließen vermuten, dass es künftig Therapien dafür geben könnte.

Noch viele Daten müssten gesammelt und viele Studien initiiert werden, bis die Wissenschaft für jeden Entwicklungszeitpunkt sagen könne, welche Gene aktiv und welche ausgeschaltet sein sollten. Logische Folge seien später neue Therapiemöglichkeiten. Dabei müsse aber bedacht werden, dass mehr Testmöglichkeiten auch deutlich höhere Kosten bedeuteten, schreibt Bianchi.

Ängste werdender Eltern werden geschürt

Zudem gebe es ethische Bedenken zu klären: Auffällige genetische Befunde, deren funktionelle Folgen unklar seien, schürten die Ängste werdender Eltern. Es bestehe die Gefahr, dass gesunde Feten in Folge unklarer Daten abgetrieben werden.

Zu hinterfragen sei auch, wie mit den Informationen zu möglichen Krankheiten und gesundheitlichen Problemen zu verfahren ist, die erst viel später, im Erwachsenenalter, eine Rolle für den Nachwuchs spielen.

Die Politik will sich den rasanten Gentest-Entwicklungen stellen: Der Deutsche Ethikrat erarbeitet derzeit im Auftrag der Bundesregierung eine Stellungnahme zur Zukunft der genetischen Diagnostik.

Die Frage sei, erklärte der Medizinethiker Wolfram Henn von der Universität des Saarlandes kürzlich: „Wer darf zu welchem Zeitpunkt welche genetischen Informationen erhalten – nicht nur über Krankheitsanlagen, die schon in der Kindheit bedeutsam sind, sondern auch über erst spät auftretende Krankheiten wie erblichen Darmkrebs oder sogar Eigenschaften ohne Krankheitswert, zum Beispiel Sportlichkeit?“

Quelle:Welt Online