Das weltweit erste Organ aus Stammzellen ist da: US-Mediziner haben im Reagenzglas eine künstliche Harnblase aus körpereigenen Zellen gezüchtet. Die Organe aus der Retorte sollen inkontinente Patienten von ihren Leiden befreien. Sieben Kinder tragen die Harnblase von Tengion bereits.
In gläsernen Brutkästen wachsen quellenartige Gebilde. Es sind künstliche Harnblasen, die das Unternehmen Tengion in North Carolina aus körpereigenen Zellen züchtet.
Sieben Kinder leben bereits seit acht Jahren mit der Harnblase von Tengion. Es gehe allen gut, teilt der Erfinder des Verfahrens, Anthony Atala, Urologe der Wake Forest University School of Medicine in Winston-Salem, mit. In diesem Jahr sollen zehn weitere Patienten das Ersatzorgan erhalten.
Um eine Harnblase zu züchten, werden den Pateinten Stammzellen aus dem Harntrakt entnommen. „Bei dieser Biopsie braucht man lediglich Gewebe von der Größe einer Briefmarke“, versichert Atala. Die so gewonnenen Zellen werden zwei Monate lang mit einem speziellen Nährstoff-Cocktail vermehrt und schließlich auf einen bioabbaubaren Ballon aus Kollagen und Polyglykolsäure aufgezogen. Dieser Ballon verschwindet später von selbst, sodass nur körpereigenes Harngewebe übrig bleibt. Das nicht einmal handtellergroße Organ wird den Patienten in einer Operation eingesetzt. In Gegenzug wird das kranke Exemplar entfernt.
Bislang haben ausschließlich Kinder mit einer angeborenen Fehlbildung, dem offenen Rücken, das Transplantat erhalten. Bei schweren Formen der Erkrankung sind die beiden Schließmuskeln am Blasenausgang missgebildet und regieren nicht richtig. Die Blase entleert sich unkontrolliert und oft nur unzureichend, wodurch die Nieren empfindlich geschädigt werden können.
Atala tauschte den Blasenhals durch die neu gezüchtete, gesunde Organhälfte aus. Dadurch kann der gefährliche Rückstau des Urins, aber auch das ungewollte Wasserlassen verhindert werden. Der Druck in der gezüchteten Blase baut sich nornal auf, sodass die Patienten rechtzeitig Harndrang verspüren. Sie müssen allerdings weiterhin einen Katheter tragen, da sie aufgrund der Fehlbildung schlichtweg nicht auf einer Toilette sitzen können. „Da das Organ aus körpereigenen Zellen besteht, wir es vom Immunsystem nicht abgestoßen““, nennt Atala einen weiteren Vorteil.
Im vergangenen Jahr wurden zehn neue Patienten mit offenen Rücken und Rückenmarksverletzungen für eine Transplantation ausgewählt. „Wir wollen sehen, ob die Technologie automatisiert werden kann und mehrere Patienten auf einmal behandelt werden können“, nennt Atala das Ziel der laufenden Studie. Wenn alles glatt geht, hofft er auf eine Zulassung von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. Dann könnten viele Tausend Harnblasen in den Laboren von Tengion gedeihen. Was das neue Organ kostet, verrät das Unternehmen allerdings nicht. Eine Größenordnung von mehreren Zehntausend Dollar erscheint jedoch realistisch.
Die Harnblase ist daserste Organ, das aus körpereigenen Stammzellen kreiert werden kann. Bei Lunge, Leber und Nieren sind entsprechende Ansätze weniger weit entwickelt. Dies liegt auch daran, dass diese Organe wesentlich komplexer aufgebaut sind als die Blase, die so gut wie keinen Stoffwechsel betreibt.
Stamm Zellen sind die Urzellen unseres Körpers.Auch ein früher Embryo besteht aus Stammzellen; sie reifen nach und nach in Herz-, oder Hirnzellen und bilden so unseren Körper. Weil sich Zellen in dieses Zellgewebe verwandeln lassen, gelten sie für Ärzte als medizinische Wunderzellen, mit denen sich alles, krankes oder kaputtes Gewebe durch neues und frisches ersetzen lässt.
Die künstlichen Blasen eröffnen einen Ausblick auf jene stahlende Zukubft, wie sie sich die Menschheit durch die Stammzellentechnik erhofft – dass sich nämlich aus körpereigenen Stammzellen im Reagenzglas komplett neue Organe wie Leber, Niere oder Herz züchten lassen. Die Tengion-Mediziner kommen diesem Menschheitstraum so nahe wie niemand zuvor.
Quelle: Welt Online