Kinder nehmen alles in den Mund. Doch Vorsicht, die Produktgruppe ist oft so giftig wie kaum eine andere. Nur wenige Hersteller kommen durch den Test.
Lieb sieht es aus, das pinke Plastikpferdchen mit der Lockenmähne. Kinderkunterbunt der nette grüne Roller oder die Malstifte im Profi-Kasten. Heile, gute Kinderwelt? Der Eindruck täuscht. Kinderspielzeug ist giftig, so giftig wie kaum eine andere Produktgruppe. Für Fälle wie diese hat die Europäische Gemeinschaft ein Schnellwarnsystem eingerichtet: Rapex schlägt bei Produkten Alarm, die gefährlich werden können.
In der Warnstatistik kam Spielzeug aus Plastik auf den Spitzenplatz: Es löste jede sechste von 232 Warnmeldungen der vergangenen zwölf Monate aus, rechnete die Dortmunder Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin vor. Allzu schnell ist das vergiftete Kunststoffzubehör fürs Kinderspielzeugpony verschluckt. Auch Roller und Malstifte sind mit hochgiftigen Chemikalien oder Stoffen belastet, zum Beispiel Chrom und Blei.
Giftige Stoffe in Wasserspielzeugen gefunden
Es ist grotesk: Kleinkinder nehmen zwar alles in den Mund, was sie greifen können. Trotzdem ist in Kinderspielzeug eine Fülle von Materialien verarbeitet, die in Gütern für Erwachsene verboten sind. Zum Beispiel polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die das Erbgut umbauen, Krebs verursachen und das Baby im Mutterleib gefährden. Diese Gifte erreichen in Spielsachen die tausendfach höhere Konzentration von dem, was in Autoreifen erlaubt ist. Sie zählen zu den Weichmachern. Erst mit ihnen werden Quietschentchen und Gummidinosaurier biegsam und elastisch.
Mindestens die Hälfte aller Spielwaren fällt bei Prüfungen von „Öko-Test“ erfahrungsgemäß durch. Die Chemiker notieren Schwermetalle wie Blei, hormonell aktive Weichmacher wie Phthalate, krebserzeugende Farben und bedenkliches PVC im Spielzeug. Auf der weltweit größten Spielwarenmesse der Welt in Nürnberg haben Kontrolleure der Gewerbeaufsichtsämter Jahr für Jahr alle Hände voll zu tun: Jedes vierte Ausstellungsstück verstieß 2009 gegen geltende Gesetze – und die sind eigentlich lax genug.
Erst vor wenigen Wochen machte der TÜV Rheinland mit einer Analyse von Wasserspielzeug den Auftakt in den Sommer. An Stränden in Frankreich, Italien und den Niederlanden hatten die Tester 88 Wassertiere und Schwimmringe erworben. 43 dürften gar nicht verkauft werden, berichtet Rainer Weiskirchen, Pressesprecher vom TÜV Rheinland/LGA in Nürnberg. Wieder waren in vielen Produkten die Grenzwerte von Phthalat-Weichmachern überschritten. Ausgerechnet die Ventile zum Aufblasen von Schwimmringen oder Gummienten stellten sich als hoch belastet heraus – jener Nippel, den Kinder wie Eltern zwangsläufig in den Mund nehmen. Manche Phthalate stehen im Verdacht, hormonell zu wirken und krebserregend zu sein.
„Es wäre viel gewonnen, wenn alle Hersteller wenigstens die Mindestnormen respektierten“, sagt Werner Leistner vom Stuttgarter Prüfinstitut Dekra. Die laxe Haltung der Branche komme vom hohen Kostendruck. Die Deutschen kauften mehr und mehr Billigware aus China. Rund drei von vier Spielzeugen kommen aus Asien. Zwar unterlaufen längst nicht alle Puppen und Ritter aus dem Land der Mitte die hiesigen Bestimmungen. Aber bei chinesischen Spielsachen häufen sich die Beanstandungen.
Deutsche Spielzeugproduzenten mit Qualitätssiegel
Die Vorbildlichen unter den deutschen Herstellern sind ISO 9001 zertifiziert. Ihre Produktionsabläufe unterliegen damit einem Qualitätsmanagement. Darunter sind der Spielzeugproduzent Habermaaß, Kuscheltierfabrikant Steiff und Playmobilhersteller geobra Brandstätter. Bei einem der größten Spielzeugtests des Magazins „Öko-Test“ im Jahr 2008 schnitten sie mit gut bis sehr gut ab – neben den Herstellern Sigikid, Best-Lock, den Sieper-Werken, Sterntaler und Holzspielzeugfabrikant Selecta.
Wie mustergültig kindersicher und zugleich erfolgreich Spielzeughersteller sein können, zeigt das Beispiel Playmobil. Aus 600 Eisenbahnwaggons voll Kunststoffgranulat entstehen auf Malta jedes Jahr rund 100 Millionen der daumengroßen Playmobil-Figuren.
Die Geburt eines Hirschs beschäftigt viele Köpfe
Auf der Insel steht eines von vier europäischen Werken der Firma geobra Brandstätter. Der Kunststoff aus Polystyrol oder Acrylnitril-Butadi-en-Styrol wird in Maschinen geschmolzen und zu Armen, Beinen, Kopf oder Rumpf geformt. 600 verschiedene Anlagen liefern Tag und Nacht Körperteile aus Kunststoff. Sie werden von Computern gesteuert und mit Kameras überwacht. Robotergreifarme stecken Schopf auf Kopf und Oberkörper, Beine und Arme im Sekundentakt zusammen. Fertig ist der Ritter und auch der Polizist. Für die neue Ferienwelt von Playmobil purzeln Frau und Mann in Badekleidung aus schreibtischgroßen Anlagen. „Es gibt wenige Menschen in der Fertigung, dafür viele Maschinen“, sagt Geschäftsführerin Andrea Schauer am Stammsitz in Zirndorf bei Nürnberg.
Viele der 3000 Mitarbeiter kümmern sich indes um Design und Produktentwicklung. Die Geburt eines Hirschs etwa beschäftigte viele Köpfe: Zeichner, die ihm eine kindgerechte Gestalt geben, Produktingenieure, die nach passenden Materialien suchen. „Da die meisten Spielsachen aus hartem Kunststoff sind, werden kaum Weichmacher benötigt“, erläutert Qualitätsmanagerin Christine Merkel. Das Geweih des Hirschs ist trotzdem weich wie Gummi, weil sich Kinder sonst damit verletzen könnten, mahnte das unabhängige Prüfinstitut LGA QualiTest in Nürnberg, eine hundertprozentige Tochter des TÜV Rheinland. So bekam das Wildtier einen Kopfschmuck aus Silikon.
Sämtliche Farben, Aufkleber und Kunststoffe wie auch alle Prototypen werden seit 1990 bei LGA QualiTest getestet. „Das verschlingt sechsstellige Summen“, sagt Schauer. Die erfolgreich getesteten Artikel dürfen dafür aber auch das Siegel „TÜV Proof“ tragen.
Seit September 2009 werden auch jene 16 polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe erfasst, die in den USA als erbgutverändernd, krebserzeugend und fortpflanzungsschädigend eingestuft sind. Sie dürfen in Playmobil-Spielsachen nicht enthalten sein. „Das geht über die Anforderungen der Spielzeugrichtlinie der EU hinaus“, sagt Merkel. Problematischer Klebstoff wird nicht gebraucht, die Plastikteile schweißt eine Ultraschallanlage zusammen: Durch Reibung erwärmen sich die Flächen. Das Plastik schmilzt und verläuft ineinander.
Alle Stoffe garantiert ohne optische Aufheller
Keine Maschinen, aber dafür viele Handwerker und Näherinnen sitzen bei Steiff im schwäbischen Giengen. Jeder der 300 Mitarbeiter stellt hier alle 40 Minuten ein Kuscheltier her. Fast alles ist Handarbeit. 2008 kaufte das Traditionsunternehmen die Weberei Reinhard Schulte in Duisburg auf. Dort experimentiert man an den Webstühlen mit Plüsch aus Seide, Alpaka und Mohair im Gemisch mit Synthetikfasern. Die Bären sollen aussehen wie echt, sich aber weicher anfühlen als ein Bärenpelz.
Kontrolle von Anfang bis Ende – ein Prinzip des Unternehmens, das auch einmal in China fertigte. Zwar lassen sich Teddys dort drei- bis fünfmal so preiswert nähen, sagt Geschäftsführer Martin Hampe. Aber dieser Vorteil habe sich für Steiff nie ausgezahlt: „Sobald die Kontrolle vor Ort nicht mehr da ist, geht der alte Schlendrian wieder los“, sagt Hampe.
Seit 2009 wirbt die schwäbische Manufaktur mit einem Steiff-Reinheitsgebot. So verzichtet die Firma auf optische Aufheller, obwohl man es nicht müsste, ebenso auf schwermetallhaltige Farben und Flammschutzmittel – und damit Einhorn, Pinguin und Krokodil nicht lichterloh brennen, wird ihnen ein besonders dicht gewebter Pelz übergezogen.
Auch bei Steiff geht jedes neue Modell vor der Produktion durch ein unabhängiges Prüfinstitut. Bei Werner Leistner vom Prüfinstitut Dekra in Stuttgart liegen immer Steiff-Produkte und Prototypen neben dem Schreibtisch – am Tag des Interviews ein kleiner Elefant und ein Nilpferd. „Wir prüfen in einem Aufwasch nicht nur die deutschen und europäischen, sondern gleich alle gesetzlichen Anforderungen weltweit. Viele Hersteller verkaufen erst in Europa, dann nach Amerika, als Drittes kommt Japan.“
Qualität aus Holz – Sicherheitsprüfungen sind teuer
Anders als in den USA und in Japan gibt es in der EU kein Gesetz, Spielwaren von unabhängiger Stelle begutachten zu lassen. Das hat Folgen: Freiwillig lassen nur wenige Fabrikanten ihr Spielzeug testen. Für eine Stoffpuppe, die 20 verschiedene Textilien trägt, kostet eine Sicherheitsprüfung 8000 Euro, sagt Matthias Löhnert von der Qualitätssicherung bei Habermaaß im fränkischen Bad Rodach. Das lohne sich nur, wenn dasselbe Material für viele verschiedene Puppen, Tierchen und anderes Spielzeug verwendet werde. So geht auch nicht jeder Prototyp an ein Prüfinstitut. Aber doch alle neuen Rohwaren, dazu Exemplare aus der Fertigung.
Das Lieblingsmaterial in Bad Rodach ist Ahorn, Habermaaß ist auf Holzspielzeug spezialisiert. „Kunststoff kann jeder“, sagt Löhnert. Die Holzteile werden mit Wasserlacken beschichtet, die keine Lösemittel enthalten. „Kinder haben einen rauen Gaumen. Wenn sie am Holz lutschen, lösen sich kleine Mengen der Substanzen“, sagt Löhnert. Giftige zinnorganische Verbindungen und Blei werden aber nicht eingesetzt, versichert er, obwohl diese Substanzen im Spielzeug in der EU nicht verboten sind.
Mit der Selbstbeschränkung bei den Rohmaterialien steigen allerdings die Ausgaben. Habermaaß-Spielsachen sind teuer. Und das, obwohl die Puppenkleidung in China genäht wird. „Sonst würde manche Puppe das Vierfache kosten“, sagt Löhnert. Es ist offenbar nicht leicht, in Deutschland sicheres, bezahlbares Spielzeug herzustellen. So unterschiedlich die Erfolgsmodelle der Hersteller sind: Sie alle gehen freiwillig über die Mindestnormen der EU hinaus, weil diese zu niedrig sind – nicht nur für den scharfen Blick der Verbraucherschützer. Die PAK, die ungeborene Kinder schädigen können, zinnorganische Verbindungen und krebserzeugende Farben sind nur drei Beispiele für Chemikalien, die auch in Deutschland verboten gehören.
Quelle: Welt Online