Die EU hat neue Regeln zur Überwachung von Medizinprodukten vorgestellt. Die wichtigste Änderung wurde jedoch versäumt: Patienten sind weiterhin schädlichen Prothesen und Implantaten ausgeliefert.
Tausendmal moniert, tausendmal ist nichts passiert. So lässt sich der mangelnde Schutz für Patienten, die Medizinprodukte in sich tragen, zusammenfassen. Ob künstliches Hüftgelenk, Herzschrittmacher, Brustimplantat oder Stent – die Sicherheit der Empfänger steht offenbar nicht im Vordergrund, wenn es um Zulassung und Anwendung derartiger Technik geht.
Dabei verbleiben Medizinprodukte oft ein Leben lang im Körper und können dauerhaft Schaden anrichten, während Arzneimittel, die gründlicher geprüft sind, den Organismus wieder verlassen oder abgebaut werden. Spätestens die Skandale um defekte Silikonkissen in der Brust und den Abrieb von giftigen Metallionen aus künstlichen Gelenken im vergangenen Winter haben gezeigt, dass Medizinprodukte mangelhaft überwacht und kontrolliert sind und trotzdem auf die Menschheit losgelassen werden. Höchste Zeit für mehr Schutz für die Verbraucher.
Die EU hat sich der Sache angenommen und einen imposanten, 189 Seiten dicken Plan für die bessere Regulierung von Medizinprodukten vorgelegt. In politischen Zeitspannen ist das eine schnelle Reaktion. Bedrohliche Zustände erfordern rasches Handeln, könnte man meinen. Doch der Vorschlag für Schutz vor Schrott im Körper enthält vor allem Allgemeinplätze und Absichtserklärungen, wonach der Patient im Mittelpunkt stehe und Sicherheit oberste Priorität habe.
Sucht man nach entscheidenden Verbesserungen für Verbraucher, so findet man: nichts.
„Wir können keine relevanten Änderungen erkennen“, sagt Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das im Auftrag des Gesundheitsministeriums untersucht, welche Vor- und Nachteile Therapien und Diagnoseverfahren haben. „Die Nutzenfrage muss auch weiterhin nicht geklärt werden.“
Schärfere Kontrollen und einen besseren Informationsaustausch unter Mitgliedsstaaten sieht die neue EU-Regelung vor, ebenso wie Stichproben, eine gemeinsame Datenbank und ein Expertengremium. Klingt gut, erfasst aber nicht den Kern des Problems. Schließlich muss für die Zulassung von Medizinprodukten auch der neuen Regelung zufolge noch immer nicht der Nutzen für Patienten erwiesen werden, sondern nur die Funktionalität des Geräts.
Der Unterschied ist wichtig: Wird ein Herzschrittmacher nur auf seine Funktion getestet, ermitteln Prüfstellen zwar, ob er keinen Kurzschluss erzeugt – aber nicht, ob die Nebenwirkungen eventuell so groß sind, dass der Patient mit Medikamenten weniger Beschwerden und eine höhere Lebenserwartung hätte und besser auf den Schrittmacher verzichten sollte. Ein Hüftgelenk kann tadellos funktionieren und rostfrei bleiben – aber trotzdem giftige Substanzen absondern, die schmerzen und das Gewebe schädigen, sodass es besser wäre, das Implantat erst gar nicht einzubauen, sondern gleich zu verbieten.
Die neue Regelung ist ein Paradebeispiel dafür, dass trotz Tausender Geschädigter und der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema fast alles beim Alten bleibt. Symbolpolitik auf Kosten der Patienten und zum Nutzen der Hersteller, muss man diesen Vorgang wohl nennen. Windelers Fazit der EU-Regelung fällt vernichtend aus: „Für den Schutz der Patienten ist das kein Fortschritt.“
Medizinprodukte nur privatwirtschaftlich kontrolliert
Um Medizinprodukte auf den Markt zu bringen, ist ein CE-Siegel nötig, das 80 Stellen in Europa vergeben. Um die Zertifizierung kümmert sich der Hersteller selbst, zumeist handelt es sich nur um „Papierprüfungen“ – das heißt, Unterlagen werden gesichtet, aber nicht das Material, das eingepflanzt wird. „Man muss schon fragen, warum Arzneimittel staatlich kontrolliert werden, Medizinprodukte aber nur privatwirtschaftlich“, sagt Windeler.
Auch für Verbraucherschützer und Krankenkassen ist die Initiative zu dürftig. „Für Hochrisikoprodukte wie zum Beispiel Herzschrittmacher brauchen wir auf europäischer Ebene ein unabhängiges, zentrales behördliches Zulassungsverfahren“, sagt Florian Lanz vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen. „Wenn es ein Problem mit einem Arzneimittel gibt, setzt der Patient die Einnahme ab“, sagt Monique Goyens, Vorsitzende des europäischen Verbraucherschutzverbandes. „Ist ein Implantat problematisch, müssen Patienten sich hingegen riskanten Operationen unterziehen, um es entfernen zu lassen.“
Wie fatal es sich auswirken kann, wenn der Nutzen von Medizinprodukten nicht bewertet wird, zeigt das Versagen neuartiger Gefäßstützen. 2007 kam eine Studie von Mitarbeitern des Herstellers sowie Ärzten, die von der Firma Honorare erhielten, zu positiven Ergebnissen. In vielen Krankenhäusern wurden Patienten die Drahtgeflechte eingesetzt, die Uniklinik Heidelberg warb: „Maschendraht verhindert Schlaganfall“. Im Jahr 2011 musste eine unabhängige Studie abgebrochen werden, weil 14,7 Prozent der Patienten nach dem Eingriff starben oder Schlaganfälle erlitten – in der Vergleichsgruppe, die Medikamente bekam, waren es 5,8 Prozent. Viele Todesfälle wären verhindert worden, hätte der Nutzen der Methode bewiesen werden müssen, bevor sie auf den Markt kam.
Doch das ist politisch nicht gewollt. „Als politische Entscheidungsträger müssen wir alles tun, was in unserer Macht steht, damit so etwas nie wieder geschieht“, sagt EU-Gesundheitskommissar John Dalli in Hinblick auf den Skandal um Brustimplantate, als er die neuen Pläne vorstellt. Dies wurde versäumt, Wirtschaftsinteressen gehen weiterhin vor Patientenschutz.
Belege dafür gibt es genug: Jens Spahn, gesundheitspolitische Sprecher der Union, begrüßt die Regelung, denn für Patienten sei es wichtig, dass „Innovationen weiterhin zeitnah zur Verfügung stehen“. Der Bundesverband Medizintechnologie, in dem 230 Firmen organisiert sind, hält „die derzeitigen gesetzlichen Regelungen für absolut ausreichend“. Damit ist er in einer Linie mit dem Bundesgesundheitsministerium. Susanne Conze, Referatsleiterin Medizinprodukte, hatte nach dem Skandal um die Brustimplantate erklärt, dass ihr Dienstherr Daniel Bahr deshalb noch „keinen Systemwechsel“ plane und am Zulassungsverfahren „nichts ändern wolle“.
Dietrich Monstadt, für die CDU im Gesundheitsausschuss, lehnt eine verschärfte Zulassung ebenfalls ab. „Die Zulassungsvoraussetzungen sollten nicht geändert werden. Sie haben sich bewährt“, sagte Monstadt im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Schließlich seien kleinere und mittlere Unternehmen durch mehr Aufwand bei verschärften Zulassungsverfahren in ihrer Innovationsfähigkeit beeinträchtigt.
Quelle:Süddeutsche.de