Tausend Jahre alt werden – bald schon möglich?

Aufgrund ihres enormen Nutzens könnte die Forschung gegen das Altern eine bessere Investition sein als andere medizinische Forschungsbereiche, die viel mehr Geld kosten. Warum jetzt nicht beginnen?

Welchen Krankheiten sollte sich die medizinische und biologische Forschung vor allem widmen? Gute Argumente gibt es für die Untersuchung der tödlichsten unter ihnen wie Malaria, Masern und Durchfall, denen in Entwicklungsländern Millionen zum Opfer fallen, aber in den Industrieländern nur wenige.

Industrieländer dagegen widmen den Hauptteil ihrer Forschungsgelder den Krankheiten, unter denen ihre eigene Bevölkerung leidet, und dies dürfte sich in absehbarer Zukunft nicht ändern. Welcher medizinische Durchbruch aber würde am meisten dazu beitragen, unser Leben zu verbessern?

Wenn Ihr erster Gedanke „ein Mittel gegen Krebs“ oder „ein Mittel gegen Herzkrankheit“ ist, denken Sie noch einmal nach! Aubrey de Grey, leitender Wissenschaftler der SENS-Stiftung und der weltweit prominenteste Verfechter der Forschung gegen das Altern, argumentiert, es mache keinen Sinn, die überwiegende Mehrheit unserer medizinischen Ressourcen für den Kampf gegen Alterskrankheiten auszugeben, ohne das Altern selbst zu bekämpfen.

Das Altern behandeln

In den entwickelten Ländern sterben 90 Prozent aller Menschen am Alter, also wäre die Behandlung des Alterns selbst eine vorbeugende Medizin für alle Alterskrankheiten. Darüber hinaus vermindert das Altern, noch bevor es uns umbringt, unsere Fähigkeit, unser Leben zu genießen und positiv zum Leben anderer beizutragen.

Wäre es also nicht eine bessere Strategie, zu versuchen, dem Schaden, den unsere Körper durch den Alterungsprozess erleidet, zuvorzukommen, oder ihn zu reparieren?

Kontrolle über den Alterungsprozess

De Grey glaubt, im nächsten Jahrzehnt könne bereits der geringfügigste Fortschritt in diesem Bereich zu einer dramatischen Verlängerung der menschlichen Lebensspanne führen. Alles, was wir erreichen müssten, sei das, was er „Langlebigkeits-Fluchtgeschwindigkeit“ nennt – den Punkt, an dem wir das Leben genug verlängern können, um Zeit für weiteren wissenschaftlichen Fortschritt und damit weitere lebensverlängernde Maßnahmen zu haben.

In einer kürzlichen Rede an der Princeton University sagte de Grey: „Wir wissen nicht, wie alt der erste Mensch, der 150 Jahre alt werden wird, heute ist, aber der erste, der tausend Jahre alt wird, ist wahrscheinlich weniger als zwanzig Jahre jünger.“

Was daran fasziniert, ist nicht das ewige Leben, sondern die Vision, eine gewisse Kontrolle über den Alterungsprozess könne zu einer Verlängerung der Spanne gesunden, jugendlichen Lebens führen.

Sollte es in den Industrieländern gelingen, die jungen oder mittelalten Menschen länger jung zu halten, könnte dies das drohende demografische Problem eines nie da gewesenen gesellschaftlichen Anteils von Alten, die oft von Jüngeren abhängig sind, abmildern.

Andererseits müssen wir uns immer die ethische Frage stellen: Ist unser Wunsch, das Leben so dramatisch zu verlängern, nicht egoistisch? Und wird das Ergebnis im Erfolgsfall für andere zur Last?

Würde die Weltbevölkerung schneller wachsen?

Die Menschen im Westen haben bereits heute eine etwa dreißig Jahre höhere Lebenserwartung als diejenigen in den ärmsten Ländern. Wenn wir herausfinden, wie der Alterungsprozess verlangsamt werden kann, könnte dies zu einer Welt führen, in der die arme Mehrheit bereits dann dem Tode geweiht ist, wenn die reichen zehn Prozent erst ein Zehntel ihrer zu erwartenden Lebensspanne hinter sich haben.

Vergrößert die Überwindung des Alterns also die Ungerechtigkeit in der Welt? Eine weitere Annahme ist, dass, während Menschen nicht sterben, weiterhin andere Menschen geboren würden und dass so die weltweite Bevölkerung noch schneller wachsen würde als heute.

Auch dadurch würde das Leben einiger Menschen deutlich beeinträchtigt. Ob wir diese Einwände widerlegen können, hängt vom Ausmaß unseres Optimismus ab, mit dem wir die technologischen und wirtschaftlichen Fortschritte der Zukunft einschätzen.

Warum nicht jetzt damit beginnen?

Die Kosten sind vielleicht anfangs hoch, ihr Preis würde aber wahrscheinlich sinken, wie dies bei so vielen anderen Innovationen der Fall war, von Computern bis hin zu den Medikamenten gegen Aids. Sollte sich die Welt weiterhin wirtschaftlich und technologisch entwickeln, werden die Menschen wohlhabender, und langfristig könnte die Behandlung gegen das Altern allen zugutekommen. Also warum nicht jetzt damit beginnen?

Gäbe der Sieg über das Altern uns nicht eine Atempause, um Lösungen für das Bevölkerungsproblem zu finden, da auch die Menopause verschoben oder verhindert würde und Frauen dadurch ihre ersten Kinder viel später bekommen könnten als heute? Dann würden die Geburtenraten in den Entwicklungsländern sinken wie zuvor in den Industriestaaten.

Doch es bleibt die moralphilosophische Frage schlechthin: Wenn die Kapazität unseres Planeten zur Beherbergung menschlichen Lebens endlich ist, wäre es besser, wenigen Menschen ein längeres Leben zu ermöglichen oder mehr Menschen ein kürzeres?

De Grey hat die SENS-Stiftung gegründet. Gemessen an den Standards der sonstigen medizinischen Forschung sind die Geldmittel bisher kläglich wenig. De Grey könnte falsch liegen, aber sollte es nur eine geringe Chance geben, dass er recht hat, könnte die Forschung gegen das Altern aufgrund ihres enormen Nutzens eine bessere Investition sein als andere medizinische Forschungsbereiche, die momentan viel mehr Geld kosten.

Quelle: Welt Online