Das passiert im Körper, wenn wir „verdursten“

„Na, ich werd schon nicht gleich verdursten“, hört man in dieser Hitze öfter von trinkfaulen Menschen. Aber was, wenn doch? Was geschieht eigentlich im Körper, wenn wir gar keine Flüssigkeit zuführen?

Kamel müsste man sein dieser Tage. Die Hitze würde einen gewissermaßen kaltlassen. Man könnte wochenlang bei 40 Grad herumlaufen, ohne einen Gedanken an Wasser zu verschwenden. Doch der menschliche Organismus ist auf kaum etwas so sehr angewiesen wie auf Flüssigkeit. Wir müssen nachfüllen, täglich, literweise. Würde man den Körper in seine Elemente zerlegen, stellte man fest: Mindestens die Hälfte, bei einigen Menschen sogar drei Viertel, bestehen aus Wasser.

Es lässt unser Blut fließen, beherbergt unsere Zellen, treibt unser Gehirn an, lässt die Nieren richtig arbeiten, die Muskeln spielen. Sogar Knochen und Zähne beinhalten Wasser. Bereits ein geringer Mangel von fünf Prozent der üblichen Wassermenge macht dem Körper zu schaffen. Dennoch kann er das lebenswichtige Elixier nicht speichern. Wir müssen ständig für Nachschub sorgen. Rund zwei Liter sollte man täglich trinken, je nach Alter, Gewicht, Lebensweise – und Außentemperatur: Steigt die Körpertemperatur durch Hitze um ein Grad Celsius, benötigen wir einen halben bis einen Liter mehr Flüssigkeit als sonst.

Doch was passiert, wenn der Organismus gar kein Wasser mehr bekommt? Wenn wir auf einer einsamen Insel stranden würden, ohne Wasservorrat? Welche Prozesse würden ablaufen? Und würde der Körper aufgeben und sterben?

Was wir umgangssprachlich gern „verdursten“ nennen, meint eigentlich den Tod durch eine sogenannte fortgeschrittene Exsikkose, eine Austrocknung des Körpers (vom lateinischen Verb exsiccare: „austrocknen“). Sie entsteht, wenn der Körper so weit dehydriert, dass er nicht mehr richtig funktioniert.

Als Erstes kommt der Durst

Wie lange es dauert, bis der Körper erste Anzeichen einer Austrocknung zeigt, hängt von vielen Faktoren ab. Nicht jeder Mensch hat gleich viel Wasser im Körper. Bei älteren Menschen ist der Wasseranteil ohnehin geringer, etwa um zehn Prozent im Vergleich zu einem jungen Menschen. Einige Schutzfunktionen des Körpers funktionieren bei ihnen außerdem nicht mehr so gut. Sie trocknen deswegen schneller aus.

Ein gesunder Organismus funkt, wenn er zu wenig Flüssigkeit bekommt, als Erstes das Gehirn an: Wir empfinden Durst. Quälenden Durst. „Manche Patienten, die aus medizinischen Gründen eine Zeit lang nichts trinken dürfen, sagen, Durst sei schlimmer als Schmerzen“, sagt Jan Baus, Intensivmediziner und Leiter des Zentrums für Notfalltraining am Unfallkrankenhaus Berlin.

Es ist ein nützliches Warnsignal, das der Körper da schickt. Normalerweise rettet es Leben. Bei manchen Menschen ist das Durstempfinden aber gestört, bei Alten zum Beispiel und bei Kindern.

Und auf unserer einsamen Insel können wir den Durst nicht löschen, weil wir kein Wasser haben. Schütten wir nichts nach, wird unser Blut immer zähflüssiger – und salzhaltiger. Vor allem die Kaliumkonzentration nimmt rapide zu. Ist es dann auch noch sehr warm um uns herum, weitet der Körper alle Gefäße, um möglichst viel Wärme an die Umgebung loszuwerden.

„Dann fließt die gleiche Menge Blut sozusagen in weiteren Rohren, und das Blut versackt“, sagt Baus. Der Blutdruck sinkt, und der Kreislauf kann das Gehirn nicht mehr mit ausreichend Blut versorgen: Uns wird schwindlig, wir fühlen uns schwach, haben Schwierigkeiten, uns zu konzentrieren.

Die Haut trocknet zusehends aus und verliert ihre Spannung, weil kein Schweiß mehr produziert wird. Beobachten kann man das bei alten Menschen: Zieht man ein wenig an der Haut, bleiben die Falten einfach stehen. Auch die Schleimhäute beginnen auszutrocknen.

Die wichtige Rolle der Nieren

Zu einem echten Problem wird der Wassermangel, wenn die Nieren ihn zu spüren bekommen. Denn sie sind für den Wasserhaushalt verantwortlich. Ihre Aufgabe ist es, überschüssige Flüssigkeit aus dem Organismus zu transportieren: Wir scheiden sie als Urin wieder aus.

Stellen die Nieren jedoch fest, dass zu wenig Wasser zur Verfügung steht, fahren sie die Urinproduktion zurück. Dass man austrocknet, bemerkt man deswegen auch daran, dass man weniger Urin ausscheidet, der zudem sehr dunkel ist und streng riechen kann. Um den Kreislauf vorerst aufrechtzuerhalten, regeln die Nieren den Blutdruck noch weiter herunter.

Spätestens jetzt fragen wir uns vielleicht, ob es sinnvoll ist, Meerwasser zu trinken. Davon haben wir schließlich genug auf unserer einsamen Insel. Und würden wir unserem Körper damit nicht Wasser und Salz, also zwei überlebenswichtige Stoffe, zuführen?

Es wird uns nicht helfen, denn die Nieren müssen das Salz wieder ausscheiden, damit das Blut sich nicht noch weiter damit anreichert. Sie können aber nicht so viel Natrium pro Liter Urin ausscheiden, wie ein Liter Meerwasser enthält. Die Folge: Wir scheiden mehr Flüssigkeit aus, als wir zu uns genommen haben – und trocknen noch schneller aus.

Nach zwei bis drei Tagen ohne Wasser wird es gefährlich, erklärt Markus van der Giet, Nephrologe an der Berliner Charité: „Die Nieren müssen zwangsentwässern. Wenn zu wenig Flüssigkeit zur Verfügung steht, funktioniert das nicht. Und dann bringen sich die Nieren selbst um die Ecke.“ Sie kneifen die umliegenden Blutgefäße zu und schneiden sich damit selbst von der Versorgung ab. Die Folgen eines solchen Nierenversagens für den Organismus sind fatal. Er vergiftet sich selbst.

Woran sterben wir?

Die Nieren sind nämlich nicht nur für den Wasserhaushalt, sondern daran gekoppelt auch für die Entgiftung des Körpers verantwortlich. Wenn sie nicht mehr funktionieren, werden Stoffwechselprodukte wie Harnstoff und Harnsäure nicht mehr ausgeschieden. Die Haut verfärbt sich bräunlich und beginnt zu jucken, Atem und Haut riechen nach Urin. Schon nach kurzer Zeit schädigen die Giftstoffe das Gehirn, Muskelgewebe und Nervenzellen.

Durch die innere Vergiftung des Körpers werden wir irgendwann apathisch und fallen ins Koma. Aber: „Es ist das Kalium, das tötet“, erklärt Jan Baus. Nicht nur durch die „Verdickung“ des Blutes, auch durch das Versagen der Nieren steigt die Kaliumkonzentration massiv an. Dadurch gerät das Herz aus dem Takt. „In der Regel kommt es dann zum Herzstillstand.“

Weil so viele Prozesse schnell hintereinander oder zugleich ablaufen, sprechen Mediziner vom Multiorganversagen, wenn ein Mensch an fortgeschrittener Exsikkose stirbt. Wie lange es dauert, bis der Tod eintritt, hängt von vielen Faktoren ab. Alter, Gesundheitszustand und die äußeren Umstände spielen die größte Rolle.

„Ich habe auch schon einen Patienten gehabt, der meinte, bei 40 Grad Rennrad fahren zu müssen. Der hatte sich binnen weniger Stunden in einen lebensbedrohlichen Zustand gebracht“, erzählt Baus.

„So ein Wetter ist nicht ungefährlich“, warnt auch der Nierenspezialist van der Giet. „Wir sehen in der Notaufnahme öfter Fälle von Nierenversagen, hervorgerufen durch einen Flüssigkeitsmangel.“ Betroffen sind davon vor allem ältere Menschen. „Mir sind aber auch schon Jüngere untergekommen, die besonders ignorant sind und meinen, sie müssten nichts trinken.“

Das Geheimnis des Kamels

Tatsächlich kommt es höchst selten vor, dass Menschen „verdursten“. Gelegentlich sterben Menschen in der Wüste oder in großen Nationalparks, wenn sie die Orientierung verlieren und tagelang keinen Zugang zu Wasser haben. In Ländern der Dritten Welt sind der Weltgesundheitsorganisation zufolge noch immer Millionen Menschen von der Versorgung mit sauberem Trinkwasser abgeschnitten.

Die wenigstens sterben jedoch an Exsikkose. Durch verunreinigtes Wasser ausgelöste Infektionen sind viel gefährlicher. Auch Durststreiks hat es schon gegeben, ebenso wie Hungerstreiks. Nichts zu trinken ist aber ungleich gefährlicher. Denn ohne Nahrung kann der menschliche Körper mehrere Wochen leben, ohne Flüssigkeit nur wenige Tage.

Und das Kamel? Was macht es eigentlich, um nicht zu verdursten? Anders als vielfach angenommen speichert es kein Wasser in seinen Höckern, sondern Fett. Dass Kamele so lange ohne Flüssigkeit auskommen, verdanken sie ihren Nieren. Die scheiden nämlich Urin aus, der kaum Wasser enthält.

Außerdem können sie in ihren Blutkörperchen viel mehr Wasser speichern als Menschen. Und schließlich greifen sie auf einen einfachen, aber sehr nützlichen Trick zurück: Um nicht zu schwitzen und dadurch Flüssigkeit zu verlieren, heben sie ihre Körpertemperatur: auf bis zu 41 Grad Celsius.

Quelle: WeltN24 Online