Dem Lieblingsgetränk der Deutschen hängt ein schlechter Ruf an. Zu Unrecht: Aus Angst vor Krebs, Stoffwechselstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen muss niemand auf Kaffeegenuss.
Tee macht gesund – und hält gesund, keine Frage. Ganz anders als Kaffee, dessen Ruf als bekömmliches Getränk schon immer umstritten war. So musste sich das englische Parlament 1674 mit der Petition einer Frauenbewegung auseinander setzen, in der die Befürchtung artikuliert wurde, dass „dieses austrocknende und schwächende Getränk“ die Männer unfruchtbar machen würde „wie die Wüsten, aus denen diese unglückselige Frucht kommt“.
Solche Befürchtungen hört man heute eher selten, zu beliebt ist der Kaffee. Dennoch kursieren noch viele andere Vorurteile zu Deutschlands beliebtestem Frühstücksgetränk.
So glauben viele Menschen, dass Kaffee viel mehr Koffein enthalten würde als Tee (früher sprach man beim Tee auch von Teein – aber chemisch betrachtet sind Teein und Koffein dasselbe). Tatsache ist jedoch, dass das nicht von vorneherein so ist: Teeblätter enthalten nämlich drei Mal mehr von dem anregenden Alkaloid als Kaffeebohnen.
Koffein-Kick binnen weniger Minuten
Doch da man für einen Teeaufguss relativ wenig Blattmasse verwendet, ist in einer fertig gebrühten Tasse Kaffee dann wieder etwas mehr Koffein enthalten als in einer Tasse Tee. Außerdem wird in ihr das Alkaloid weniger durch andere im Getränk enthaltene Substanzen an seiner Arbeit gehindert.
Mit anderen Worten: Wer Kaffee trinkt, kommt binnen weniger Minuten an seinen Koffein-Kick. Doch das muss überhaupt nichts Schlechtes sein.
So ist noch nicht einmal sicher, dass Kaffee unmittelbar anregend wirkt. Denn die wesentliche Wirkung von Koffein besteht darin, dass es den körpereigenen Stoff Adenosin blockiert. Das Adenosin wiederum hemmt die Ausschüttung anregender Neurotransmitter, etwa Dopamin und Adrenalin. Wird das Adenosin durch Koffein gehemmt, so kursieren also mehr anregende Hirnbotenstoffe im Körper, was letzten Endes dazu führt, dass wir wacher sind.
Eine Tasse senkt Blutdruck und Atemfrequenz
Andererseits aber vergrößern diese Substanzen den Querschnitt der Blutgefäße und Atemwege, und das geschieht in der Regel noch schneller als der Muntermachereffekt. Eine Tasse Kaffee senkt also zunächst den Blutdruck und die Atemfrequenz – was viele Menschen als beruhigend empfinden – und setzt erst 15 bis 20 Minuten später das Gehirn unter Hochspannung. Dadurch kann die Tasse Kaffee unmittelbar vor der Bettruhe tatsächlich das Einschlafen fördern.
Ein störendes Sodbrennen muss man dabei auch nicht befürchten. So mobilisiert Koffein zwar den Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre, doch das ist laut einer holländischen Studie nur bei nüchternem Magen von Belang – und bei dem führen auch andere Getränke wie Obstsaft und Limonade zu saurem Aufstoßen.
Wer hingegen Kaffee „klassisch“ zu Frühstück oder Kuchen verzehrt, geht kein zusätzliches Sodbrand-Risiko ein. Und wer ganz auf Nummer Sicher gehen will, sollte einen Espresso trinken, denn dessen Bohnen wurden länger geröstet und haben dadurch einen Großteil ihrer Reizstoffe verloren.
Kein Flüssigkeitsräuber
Ebenfalls überholt ist die Ansicht, wonach Kaffee ein entwässernder „Harntreiber“ sei. Ernährungsmediziner Olaf Adam von der Ludwigs-Maximilians-Universität München hat die wissenschaftlichen Daten zu dem Thema gesichtet, und sein Urteil fällt eindeutig aus: „Kaffee ist ein wichtiger Teil der täglichen Gesamt-Wasserzufuhr. In der Flüssigkeitsbilanz kann er in der Regel so wie jedes andere Getränk behandelt werden.“ Und: „Die Geschichte vom Kaffee als Flüssigkeitsräuber beruht auf einen Irrtum, sie ist eine Mär.“
Wahr ist vielmehr, dass Kaffee gleichzeitig die Harnausscheidung und die Natriumabgabe über die Nieren stimuliert. Dadurch sinkt zwar der Wasseranteil zwischen den Zellen, doch weil gleichzeitig auch der Natriumwert abfällt, zieht der Zellzwischenraum kein Wasser aus dem Inneren der Zellen heraus, wo das Wasser viel wichtiger ist.
Dieses Phänomen erklärt sich aus dem physikalischen Phänomen der Osmose, wonach Flüssigkeiten links und recht einer wasserdurchlässigen Membran nur dann etwas von nebenan „holen“, wenn sie zu viel Salz intus haben. Doch gerade das ist eben beim Kaffee nicht der Fall, und dadurch kann sich kein osmotischer Druck entwickeln und die Zellen behalten ihr Wasser.
Harndrang inklusive
Zudem gewöhnen wir uns auch an den harntreibenden Effekt des Kaffees. „Der Mensch kennt das Koffein schon sehr lange“, erklärt Adam. Der Kaffee wurde bereits im 15. Jahrhundert erfunden, und der ebenfalls koffeinhaltige Tee sogar schon weit vor unserer Zeitrechnung.
Der Körper eines passionierten Kaffee- oder Teetrinkers hat daher in der Regel keine Probleme mehr, seine Reaktionen auf das Alkaloid und damit auch den Harndrang zu dämpfen. Hundertprozentig sicher sei das allerdings, wie Adam zugeben muss, nicht. Wer also plant, sich mehrere Stunden im Heißluftballon oder an anderen Orten ohne Toilette aufzuhalten, sollte vorher sicherheitshalber auf den Kaffee verzichten.
Aus Angst vor Krebs, Stoffwechselstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen muss, auch wenn oft Gegenteiliges erzählt wird, niemand auf den Kaffeegenuss verzichten. In einer amerikanischen Erhebung an 120.000 Probanden entwickelten Männer mit mehr als sechs Tassen Kaffee täglich nur halb so oft Diabetes wie die Kaffeeabstinenzler, und bei den Frauen reduzierte sich das Risiko immerhin noch um 30 Prozent.
Cholesterin erhöht
In einer anderen Studie erhöhte zwar entkoffeinierter Kaffee den LDL-Cholesterinspiegel, doch für normalen Kaffee wurde dieser Effekt nicht gefunden. „Ein absolut überraschendes Ergebnis“, wie Studienleiter Robert Superko vom Piedmont-Mercer Center in Atlanta betont. Denn eigentlich hätte man, wenn überhaupt, die nachteiligen Effekte für die Koffein-Variante vermutet.
Superko vermutet, dass die „entschärfte“, also koffeinlose Version deshalb so schlecht abgeschnitten hat, weil sie oft von einer ölreicheren Kaffeesorte gewonnen wird also normaler Kaffee.
Mit diesen Kaffeebohnen können Hersteller die Entkoffeinierung im Labor geschmacklich auffangen. „In jedem Falle aber zeigt unsere Studie“, betont Superko, „dass man vorsichtig sein sollte, bevor man ein Getränk aufgrund eines bestimmten Wirkstoffs als gesundheitsschädlich abstempelt und die Befreiung von diesem Stoff als Lösung für dieses Problem sieht“.
Reduzierung des Diabetes-Risikos
Für eine aktuelle deutsche Studie hat man europaweit die Daten von fast 520.000 Menschen ausgewertet – und dort weder einen negativen Effekt auf Herz und Kreislauf noch ein gesteigertes Krebsrisiko durch Kaffee gefunden.
Umgekehrt reduzieren mehr als vier Tassen Kaffee offenbar das Diabetes-Risiko, und zwar um 23 Prozent. Für Studienleiterin Anna Flögel vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung steht daher fest: „Wer Kaffee gut verträgt und ihn gerne trinkt, sollte dies auch weiterhin tun.“
Bleibt abschließend die Frage, ob Kaffee tatsächlich, wie es die englischen Anti-Kaffee-Kämpferinnen unterstellten, den männlichen Beitrag zur Fortpflanzung einschränkt. Die wissenschaftlichen Daten sprechen da keine einheitliche Sprache. Ein brasilianisches Forscherteam attestiert Kaffeetrinkern extrem bewegliche Spermien, man empfiehlt den Genuss des Bohnentrunkes sogar zur Therapie von Unfruchtbarkeit.
Defekte Samen
Eine amerikanische Studie fand hingegen bei den koffeinierten Samenzellen überdurchschnittlich viele Defekte. „Schon drei Tassen Kaffee täglich können zu einer Schädigung der Spermien führen“, warnt Andrew Wyrobek von der University of California, Dies könne die Chromosomenstrukturen im Embryo verändern und im schlimmsten Falle zu Missbildungen und seinem Tode führen. Welche Mechanismen letzten Endes dazu führen, ist bisher unbekannt.
Generell wäre es aber möglich, sagt Wyrobek, „dass nicht das Koffein, sondern etwas im Lebensstil der Kaffeetrinker dafür verantwortlich ist“. Hierfür spricht auch eine Studie der Harvard School of Public Health. Denn hier konnte man zeigen, dass Kaffeekonsumenten zu einem ungesunden Lebensstil neigen: sie rauchen öfter, trinken mehr Alkohol und sind weniger sozial verankert als andere Menschen.
Kaffeetrinker könnten also noch viel gesünder sein, wenn sie nicht das einsame und suchtanfällige Leben eines Kaffeetrinkers hätten. Aber dann würden sie ja vermutlich auch eher Tee trinken.
Quelle: Welt Online