Was die Hirnforschung möglich macht

Wissenschaftler entwickeln Techniken, mit denen sie entziffern können, was Menschen durch den Kopf geht. Durch bloßes Denken können wir bald womöglich Autos lenken, Computerspiele steuern oder Mails schreiben. Die technologische Revolution definiert das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine ganz neu.

Es war eine ungewöhnliche Bewerbung, die Raul Rojas kürzlich in seiner E-Mail entdeckte. Ein Trucker aus den USA hatte dem Berliner Professor für Künstliche Intelligenz geschrieben. Der Mann klang verzweifelt: Jahrzehntelang habe er seinen Laster durch Schneestürme, Wüsten und Großstädte gelenkt, schrieb er. Doch seit einem schweren Unfall sei er gelähmt. „Deswegen wäre ich der ideale Kandidat, um Ihre Technologie auszuprobieren.“

Fahren mit Geisteskraft

Braindriver heißt dieses Projekt, das ein Team der Freien Universität Berlin um Rojas entwickelt und der Öffentlichkeit vorgestellt hat: ein Auto, das sich mit Gedanken steuern lässt. Dazu erfasst eine Sensorkappe mit 16 Elektroden die elektrischen Aktivitäten im Gehirn des Fahrers. Ein Computer übersetzt diese Hirnströme in Fahranweisungen – und der Wagen bremst, beschleunigt oder fährt nach rechts und links.

So ausgestattet lenkte der zu Rojas Team gehörende Informatiker Henrik Matzke den Testwagen mit Geisteskraft über den früheren Berliner Flughafen Tempelhof. Ein Video davon stellten die Forscher 2011 ins Netz. Mehr als 300 000-mal wurde es abgerufen; auch vom Trucker aus den USA. „Die Resonanz war überwältigend“, sagt Patrick Vogel, der die Finanzierung des Forschungsprojekts organisiert.

Radikaler Technologiesprung

Vor allem aber beweist der Braindriver: Was lange Science-Fiction war, wird Realität. Wir stehen vor dem radikalsten Technologiesprung im Zusammenspiel von Mensch und Maschine seit Einführung der Computermaus. Nur mit Geisteskraft können wir in Zukunft Maschinen kontrollieren – ohne Tastatur, Joystick oder Sensoren, die Hand- oder Augenbewegungen aufzeichnen.

EU-Projekt Tobi: Steuerung per Gedanken

Das Potenzial ist kaum zu überblicken. Womöglich surfen wir bald per Geistesblitz durchs Internet, verfassen E-Mails oder steuern Autos. Wo wir uns heute gerade daran gewöhnen, Computerspiele mit Gesten zu steuern, duellieren wir uns morgen mit virtuellen Gegnern – ohne noch einen Finger am Joystick zu krümmen. Und die Technik bietet erstmals schwerverletzten Unfallopfern die Chance, Rollstühle und Prothesen per Denkanstoß zu steuern.

Grundlagen der Telepathie

Um all das Realität werden zu lassen, arbeiten Wissenschaftler weltweit daran, Gehirnströme zu entziffern, in computerlesbare Daten umzuwandeln und dann in Worte oder Taten zu übersetzen.

So haben sich etwa im Rahmen des EU-Projektes „Tobi“ mehrere europäische Universitäten und Forschungsinstitute – unter anderem aus Berlin, Heidelberg, Tübingen und Würzburg – zusammengetan. Ziel des bis 2013 laufenden und mit zwölf Millionen Euro geförderten Vorhabens ist, erste Anwendungen zur Steuerung von Geräten per Gedanken zu entwickeln. Das US-Militär steckt alleine 34,5 Millionen Dollar in die Entwicklung von gehirngesteuerten Prothesen und vier Millionen in ein Projekt, das die Grundlagen der Telepathie erforschen soll….

Quelle: wiwo.de