Das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum Hit ist ein gigantisches und schlagkräftiges Projekt gegen den Krebs. Die Bestrahlungseinrichtung hat die Größe eines Fußballfeldes. Mit Kosten von 119 Millionen ist die Anlage eines der aufwendigsten Forschungsprojekte in der Bundesrepublik.
Hier werde eine neue Dimension in der Strahlentherapie eröffnet, teilt das Universitätsklinikum Heidelberg stolz mit. Mit schweren Ionen und Protonen wollen die Heidelberger Strahlentherapeuten Tumoren zerstören, die aufgrund ihrer ungünstigen Lage im Körperinnern oder wegen ihrer besonderen Bösartigkeit mit herkömmlicher Röntgenstrahlung oder der Chirurgie nicht ausreichend bekämpft werden können.
Für etwa 15 Prozent aller Krebspatienten verspricht sich der Ärztliche Direktor des HIT, Professor Jürgen Debus, dadurch eine neue Behandlungschance. An dem Forschungszentrum soll wissenschaftlich untersucht werden, bei welchen Tumorarten und welchen Lokalisationen im Körper die Schwerionen alleine oder in Kombination mit Protonen wirklich einen besseren Heilungserfolg versprechen als mit herkömmlichen Therapien. So werden auch alle 1300 Krebspatienten, die pro Jahr hier bestrahlt werden, in Studien aufgenommen und der Therapieerfolg genau dokumentiert.
Weltweit existieren schon 30 Bestrahlungsanlagen mit Schwerionen und Protonen, vor allem in Japan und den USA. In Heidelberg steht das erste Bestrahlungszentrum in Europa, das beide Strahlenarten unter einem Dach vereint.
Drei Stockwerke hoch und 600 Tonnen schwer ist das Herz, der Stolz, der Koloss der Krebsmediziner aus Heidelberg. Das Monstrum speist den Behandlungsraum drei. Im Untergrund des 5000-Quadratmeter-Areals sind die Bestrahlungsräume und Strahlenmaschinen untergebracht, hier werden die schweren Teilchen erzeugt und beschleunigt. Hier befinden sich die Ionenquelle, der Linearbeschleuniger und der ringförmige Teilchenbeschleuniger – das Synchroton. Im fünf Meter langen Linearbeschleuniger werden die Ionen auf ein gutes Aufwärmtempo gebracht – konkret ist das ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit, bevor sie dann in einen Kreisverkehr des Teilchenbeschleunigers einmünden und durch Magnetfelder auf ringförmige Bahnen gelenkt werden. Mit Millionen von Umkreisungen (pro Sekunde sausen sie 3,4 Millionen mal im Kreis) werden sie dort auf 75 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt.
Magnetkraft wird verstärkt
Parallel zur stets steigenden Energie muss auch die Magnetkraft verstärkt werden – daher der Name Synchroton. Kurz vor dem Eintreffen in den Behandlungsräumen laufen die Ionenstrahlen durch zwei Magnetscanner, mit denen der Strahl horizontal und vertikal gelenkt werden kann. Zwei Behandlungsräume werden mit einem horizontalen Ionenstrahl beschickt. In einem dritten Raum dann der stolze Koloss. Er ist 25 Meter lang und hat einen Durchmesser von 13 Metern. Hier kann die Strahlenquelle um den Krebskranken herum rotieren – es ist die weltweit erste drehbare Schwerionen-Bestrahlungsquelle, die Heidelberg gebaut hat.
Der Patient sieht nichts von den mächtigen Maschinen im Untergrund. Er liegt in einem holzvertäfelten Bestrahlungsraum auf einem Tisch, der von Robotern gesteuert wird und in sechs Richtungen beweglich ist. Von der medizinisch-technischen Assistentin wird der Patient millimetergenau positioniert und die exakte Lagerung vor der Bestrahlung mit einer Röntgenaufnahme kontrolliert. Die Bestrahlung selbst dauert weniger als fünf Minuten, die Vorbereitung etwa 20 Minuten.
Die Vorteile der Therapie: höhere Heilungsrate, weniger Nebenwirkungen. Schwerionen eröffnen in der Krebstherapie neue Möglichkeiten, weil sie eine höhere Strahlendosis und präzisere Verteilung im Tumor garantieren als Röntgenstrahlen und außerdem fast fünf Mal so wirksam sind. Sie erreichen ihre Dosisspitze – den sogenannten Bragg-Peak – erst in tieferen Körperregionen bis zu 30 Zentimeter Eindringtiefe. Somit sind sie für Tumoren sehr gut geeignet, die tief im Körper liegen wie beispielsweise im Gehirn, der Wirbelsäule, der Prostata oder der Bauchspeicheldrüse, die mit dem chirurgischen Messer nicht erreicht werden können oder auf die herkömmliche Bestrahlung nicht ansprechen. Außerdem bieten die Schwerionen noch den großen Vorteil, dass das um den Tumor liegende gesunde Gewebe von den Strahlen verschont bleibt, denn auf ihrem Weg zum Tumor und um ihn herum geben die schweren Teilchen kaum Energie ab.
In der Heidelberger Anlage wird die Treffpräzision auf den Tumor durch ein spezielles Rasterscanverfahren noch einmal optimiert. Diese Methode haben der Physiker Professor Thomas Haberer und seine Arbeitsgruppe an der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt schon Anfang der 90er-Jahre entwickelt. Der Tumor wird digital in Millimeter dicke Scheiben “zerlegt”. Jede Scheibe wird mit einem Netz von Bildpunkten belegt und für jeden einzelnen die nötige Bestrahlungsintensität berechnet. Diesem Raster folgend, wird jeder Bildpunkt Schnitt für Schnitt bestrahlt. So werden auch unregelmäßig wuchernde Tumoren penibel bestrahlt.
Wiege der Methode
Der Prototyp, noch mächtiger und kolossaler als in Heidelberg – steht in Darmstadt. Vier Institute haben hier Anfang der 90er-Jahre ihre Kräfte gebündelt und mit der Planung der überdimensionalen Strahlenkanonen begonnen: das Grundlagenforschungszentrum GSI, die Radiologische Universitätsklinik Heidelberg, das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) und das Forschungszentrum Rossendorf bei Dresden. Die damaligen Projektleiter, der Physiker Professor Thomas Haberer und der Strahlenmediziner Professor Jürgen Debus sind heute Direktoren in Heidelberg. 440 Patienten mit überwiegend seltenen Krebsformen an der Schädelbasis sowie dem seltenen Speicheldrüsenkrebs sind seither dort bestrahlt worden. Mit doppelt so hoher Erfolgsquote gegenüber herkömmlicher Bestrahlung: “Es konnten Heilungsraten von über 80 Prozent erzielt werden”, sagt Debus.
Aufgrund vielversprechender Studienergebnisse aus Japan, wonach auch Patienten mit einem fortgeschrittenen Prostatakrebs, der nicht mehr operiert werden kann und sehr aggressiv wächst, sehr gut auf die Bestrahlung ansprechen, läuft derzeit auch in Heidelberg eine Studie mit diesen schwer therapierbaren Patienten. 18 der 36 Patienten wurden bereits in Darmstadt bestrahlt, die zweite Hälfte wird jetzt in Heidelberg bestrahlt. Andere Problemtumoren wie Weichteilsarkome, nicht mehr operierbare Lungentumoren, aggressive Hirntumoren wie Glioblastome und kindliche Tumorensind Debus zufolge auch mögliche Angriffsziele für die schweren Teilchen. Das soll jetzt Schritt für Schritt in Studien untersucht werden, in die alle Patienten am HIT aufgenommen werden. Die Vorteile der beiden Strahlenarten sollen verglichen und gegeneinander abgewogen werden. Protonen sind gegenüber den herkömmlichen Röntgenstrahlen nicht unbedingt wirksamer, jedoch bestens geeignet, um das umliegende Gewebe zu schonen, sagt der Physiker Haberer. Schwerionen versprechen indes größere Erfolge bei tief liegenden und aggressiven Tumoren.
Die Forscher rechnen mit wunderbaren Heilerfolgen – aber es gibt auch Kritik. Als unökonomischer Stromfresser ist die Anlage umstritten, das Gesundheitssystem könne sich die teure Therapie nicht leisten, heißt es. 20000 Euro kostet eine Schwerionenbehandlung – so viel wie so manche Krebsoperation.
Etwa 20 tägliche Bestrahlungen sind vorgesehen. Die Bestrahlungen werden von den meisten Kassen erstattet. Das Heidelberger Uniklinikum hat Verträge abgeschlossen.
Quelle: Welt Online