Die Beiträge zur Krankenversicherung sind nach oben geschnellt. Doch das soll sich für die Patienten auch auszahlen, verspricht Gesundheitsminister Rösler.
Die erste Gehaltsabrechnung im neuen Jahr wird für gesetzlich Versicherte eine unangenehme Botschaft bereithalten: Für den Krankenkassenbeitrag wird dann mehr Geld abgezogen als bisher – statt bisher 14,9 Prozent vom Bruttolohn sind es dann 15,5 Prozent. Gutverdiener, die den Maximalbeitrag zahlen, werden dann rund elf Euro mehr für die Krankenversicherung aufwenden. Für die Arbeitgeber bedeutet die Beitragsanhebung rund drei Mrd. Euro zusätzliche Kosten.
Um den Frust darüber nicht zu groß werden zu lassen, kündigen Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) und die Fachpolitiker der schwarz-gelben Koalition schon einmal weitere Reformen an. „Jetzt geht es um die ganz konkreten Bedürfnisse der Patienten“, verspricht Rösler.
„Die Versorgung muss besser werden.“ Und der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jens Spahn (CDU), behauptet: „Das Jahr 2011 wird das Jahr des Patienten.“ Ärzte und Krankenhäuser bekämen dieses Jahr fast zehn Mrd. Euro mehr als noch 2008. „Das muss sich konkret für die Patienten auszahlen.“ Soll heißen: Wer krank wird, soll spüren, wohin das Geld fließt, das über höhere Beiträge eingesammelt wird.
Spahn hat deshalb schon einmal eine Debatte über die Abschaffung von Vierbettzimmern in Krankenhäusern angezettelt. Künftig solle es nur noch zwei Betten pro Zimmer geben, sagte er. Außerdem soll die medizinische Versorgung auf dem Land deutlich besser werden. Auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), hat sich zum Jahresende zu Wort gemeldet und will die Opfer von Behandlungsfehlern besser entschädigen. Ihm schwebt dafür ein Entschädigungsfonds nach Vorbild Österreichs vor.
„Ich bin froh, dass wir jetzt über die Versorgung der Patienten reden und nicht mehr nur über mehr Geld für Ärzte und Krankenhäuser“, kommentiert die Chefin des Verbands der Krankenkassen, Doris Pfeiffer, die Pläne der Koalition – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Verbesserung der Versorgung auf keinen Fall noch mehr Geld kosten darf. Die Beitragszahler dürften nicht noch weiter belastet werden, mahnte Pfeiffer. Doch ob sich das wirklich halten lässt? Gesundheitspolitiker wie Johannes Singhammer (CSU) bringen schon weitere finanzielle Anreize für Landärzte ins Spiel. Ohnehin will Rösler in diesem Jahr eine neue Reform der Ärztehonorare angehen, und der Chef der Kassenärzte, Andreas Köhler, erhofft sich nicht zuletzt dadurch mehr Attraktivität für den Arztberuf – schwer vorstellbar, dass das alles nichts kosten wird. Die Reform der Pflegeversicherung, die die Koalition ebenfalls 2011 angehen will, dürfte kaum ohne neue Belastungen zu meistern sein – wenn nicht schon in diesem Jahr, dann werden sie die Versicherten auf jeden Fall in den folgenden Jahren ereilen.
Regeln für Schönheits-OPs
Noch im Januar will die Koalition die Beratungen für ein so genanntes „Versorgungsgesetz“ aufnehmen. Es soll ganz viele verschiedene Punkte beinhalten, darunter eine vereinfachte Bezahlung der Praxisgebühr. Sie soll künftig über die elektronische Gesundheitskarte abgewickelt werden, deren Ausgabe an die Versicherten dafür aber erheblich beschleunigt werden muss. Auch die Wartezeit auf Termine bei Fachärzten, die von Kassenpatienten als zu lang und vor allem länger als bei Privatpatienten empfunden wird, soll angegangen werden.
Der „Wild-West-Zustand“ bei Schönheitsoperationen, den CDU-Politiker Spahn erkannt haben will, soll ebenfalls beseitigt werden. Medizinisch nicht indizierte Schönheits-OPs an Minderjährigen sollen generell verboten werden. Der Begriff der „Schönheitschirurgie“ soll geschützt und im ärztlichen Berufsrecht aufgenommen werden. „Jeder kann sich Schönheitschirurg nennen – weder vorherige Aufklärung noch anschließende Haftung in diesem stark wachsenden Markt sind klar geregelt“, kritisiert Spahn. Schönheitschirurgen müssten eine umfassende Haftpflichtversicherung vorweisen. „Manche mögen das Thema belächeln, ich aber finde es beispielsweise unerträglich, dass manche 14-Jährige von ihren Eltern eine Nasen-OP zum Geburtstag geschenkt bekommen. Da muss man diese jungen Menschen vor sich selbst schützen“, meint Spahn.
Mehr Ärzte aufs Land
Zentraler Punkt des Versorgungsgesetzes aber soll eine bessere ärztliche Versorgung auf dem Land sein. Die Ärzte warnen vor einem drohenden Mangel in den nächsten Jahren. Minister Rösler und die Gesundheitsminister der Bundesländer haben diesen Mangel ebenfalls erkannt. Die Krankenkassen dagegen vertreten hartnäckig die Auffassung, es gebe nicht zu wenige Ärzte, sie seien nur falsch verteilt. „Wir haben in überversorgten Gebieten 25?000 Ärzte zu viel und in Mangelregionen lediglich 800 Ärzte zu wenig“, sagt Kassenverbands-Chefin Pfeiffer. Sie warnte davor, einfach mehr Geld für Ärzte in Mangelregionen zulasten der Beitragszahler bereitzustellen. Man müsse darüber reden, ob eine Zulassung als Kassenarzt nicht auf Zeit vergeben werden sollte. „Es ist ein Problem, dass ein Arztsitz immer weiterverkauft werden kann – auch in überversorgten Gebieten“, so Pfeiffer. Auch die AOK hatte vorgeschlagen, Arztsitze dort abzubauen, wo es zu viele davon gibt, um mehr Ärzte in unterversorgten Gegenden finanzieren zu können.
CSU-Politiker Singhammer dagegen will mehr junge Ärzte mit der Aussicht aufs Land locken, dass sie den Arztsitz dort nicht bis zum Ende ihrer beruflichen Tätigkeit behalten müssten. „Es würde ihnen leichter fallen, in eine unattraktive Region zu ziehen, wenn sie sich nach einigen Jahren auch wieder neu ausrichten könnten“, sagt Singhammer. Dabei spiele ein „gerechter finanzieller Gegenwert für ärztliche Arbeit“ eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Neben der ärztlichen Versorgung wird sich die Koalition auch mit der Lage der Krankenhäuser befassen. Minister Rösler hat sich für mehr Wettbewerb zwischen den Kliniken ausgesprochen – zum Beispiel dadurch, dass einige auch für Kassenpatienten nur noch Zweibettzimmer anbieten, „um eine höhere Anziehungskraft zu haben“, wie Rösler sagt. Direkt hinter den populären Vorschlag von Gesundheitspolitiker Spahn mochte sich der Minister offenbar nicht stellen, direkt dagegen aber auch nicht. Weshalb er „das Ziel“, nur noch Zweibettzimmer anzubieten, als „guten Ansatz“ bezeichnet.
Streit um Zwei-Bett-Zimmer
Spahn hat für seinen Vorschlag ganz unterschiedliche Reaktionen geerntet. Die Bundesärztekammer hatte ihn als grundsätzlich richtig eingestuft, ebenso SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Die Privatversicherungen dagegen sorgen sich darum, dass ihr Vorteil gegenüber den gesetzlichen Kassen schwinden könnte. Den Krankenhäusern wiederum könnten die Einnahmen durch die Zuschläge, die sie für Zweibettzimmer verlangen können, verloren gehen. Empört weisen Klinikdirektoren darauf hin, dass schon jetzt viele Kassenpatienten in Zweibettzimmern untergebracht werden. Die Krankenkassen wollen die Debatte nutzen, um etwas durchzusetzen, was es im Bereich der ambulanten Versorgung schon gibt: Sie möchten mit bestimmten Krankenhäusern gezielt Verträge abschließen, indem sie Preise und Qualität festlegen. Bisher müssen die Kassen allen Kliniken dasselbe Geld zahlen – übrigens genauso viel Geld, wie die Kliniken von den Privatversicherungen bekommen.
Die Opposition wird all dem nicht tatenlos zusehen. Die SPD in Baden-Württemberg hat bereits angekündigt, Wahlkampf gegen die von ihnen als ungerecht bezeichnete schwarz-gelbe Gesundheitsreform zu machen. Ein detailliertes Konzept für die Bürgerversicherung wollen die Sozialdemokraten aber erst im April und damit nach den wichtigsten Landtagswahlen, vorstellen.
Quelle: Welt Online