Schweinegrippe könnte normale Viren verdrängen

Es ist in jedem Winter dasselbe: Zum Jahresende rollt eine Grippewelle übers Land. Doch dieses Jahr hat die Grippesaison längst begonnen. Deutschland erwartet ein Schweinegrippe-Winter. Infektionsforschern zufolge könnte das H1N1-Virus die saisonalen Influenza-Erreger verdrängen.

Normalerweise rollt die Grippewelle etwa ab dem Jahreswechsel über Deutschland. Menschen werden mehr oder weniger stark krank, und manche sterben sogar an den Folgen – im Durchschnitt zwischen 8.000 und 11.000 pro Jahr. Was die momentane Schweinegrippe-Welle von der normalen Grippesaison unterscheidet, ist vor allem der deutlich frühere Beginn.

Erste Erfahrungen gibt es bereits mit Schweinegrippe-Wintern: Als das neue Virus im April zum ersten Mal auftrat, war auf der Südhalbkugel schließlich gerade Herbst und die Grippesaison stand vor der Tür. Was dann passierte, war je nach Land unterschiedlich: In einigen Ländern dominierte das H1N1-Virus und drängte die „normalen“ Grippeviren sogar zurück, in anderen Ländern war das Verhältnis der verschiedenen Grippeviren gemischter, wie das Europäische Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention (ECDC) mitteilte.

„Es ist schwierig vorherzusagen, was der Mix aus pandemischem Virus und saisonalen Influenza-Viren in diesem Herbst bringen wird“, heißt es in einem ECDC-Bericht von Ende September. Auf der Südhalbkugel habe insgesamt gesehen das H1N1-Virus den Anteil anderer Influenza-A- und B-Viren reduziert.
Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut (RKI) hält es daher für eine „berechtigte Frage“, ob es nicht auch passieren könne, dass das Schweinegrippe-Virus die saisonalen Grippe-Viren einfach zurückdrängen werde. „Es ist aber nicht zu erwarten, dass es die anderen Viren ganz verdrängt“, erklärt sie. Man habe aber keine Erfahrungen, der Ablauf müsse nicht automatisch wie auf der Südhalbkugel sein. „Generell ist schwer zu sagen, wie es verlaufen wird“, sagt Glasmacher.

31.000 Grippe-Tote in der Saison 1995/96

Denn auch die „normalen“ Grippe-Viren verhalten sich in jedem Jahr anders. Die Wellen können sehr unterschiedlich stark verlaufen, sie können früher oder später beginnen, länger dauern, und unterschiedliche Virenstämme können dominieren. Generell kann man sagen, dass Grippewellen in Deutschland im allgemeinen um den Jahreswechsel herum beginnen, ihren Höhepunkt im Februar/März haben und insgesamt etwa zwölf Wochen dauern, wie Glasmacher erklärt.

Wie unterschiedlich stark die saisonalen Grippewellen sein können, lässt sich am eindrucksvollsten an der Zahl der Todesopfer demonstrieren: Während in der Grippesaison 2000/01 deutschlandweit nur 81 Menschen den Folgen der Grippe erlagen, gab es fünf Jahre zuvor bei der stärksten Welle der vergangenen Jahre rund 31.000 Todesopfer. Das war allerdings eine Ausnahme, wie Glasmacher betont. Ab etwa 15.000 Toten spricht man von einer starken Grippewelle.

Ein Vergleich der Grippesaison 2004/05 und 2005/06 zeigt die unterschiedlichen Verlaufsmöglichkeiten: Die Grippesaison 2004/2005 war eine der starken Wellen mit rund 15.500 Todesopfern. Zwischen 22.000 und 32.000 Grippekranke wurden in Krankenhäuser eingeliefert – bei „normalen“ Grippewellen liegt die Zahl zwischen 10.000 und 20.000. Die Grippeviren waren zwischen der fünften und zwölften Woche des Jahres 2005 besonders aktiv, zwischen der siebten und zehnten Woche erreichte die Welle ihren Höhepunkt. Vorherrschendes Grippevirus war das Influenza-A-Virus H3N2.

Ein Jahr später dominierte dagegen das Influenza-B-Virus. In der Saison 2005/06 gab es nur eine ziemlich schwache Grippewelle, die in der fünften Woche des Jahres 2006 begann und in der 12. und 13. Woche ihren Höhepunkt erreichte. Nur etwa 5.500 Grippepatienten mussten im Krankenhaus behandelt werden, 1.055 starben.

Die für den Winter erwartete Schweinegrippe-Welle in Deutschland hat bereits begonnen und weicht schon damit von der üblichen Grippewelle ab. In den vergangenen Wochen ist die Zahl der gemeldeten Fälle laut RKI deutlich gestiegen, wobei sich der Anstieg bei den wöchentlichen Ansteckungszahlen beschleunigt. Beim letzten veröffentlichten Stand 29. Oktober lag die Zahl der Erkrankungen bei rund 30.000, inzwischen dürften es deutlich mehr sein.

In der letzten Oktoberwoche wurden bei 40 Prozent der im Nationalen Referenzzentrum des RKI untersuchten Proben von Erkrankungen mit Influenza-Symptomem tatsächlich Influenza-Viren festgestellt, und zwar ausschließlich H1N1. Damit hatte zu diesem Zeitpunkt fast jeder Zweite mit Grippe-Symptomen die Schweinegrippe. Die Ärzte rechnen in den kommenden Wochen mit mehr schweren und auch tödlich verlaufenden Fällen.

Ob sich am Ende die Schweinegrippe in Deutschland als „normale“ Grippewelle mit etwa 10.000 Toten herausstellen wird, ob sie schlimmer oder schwächer wird oder ob sie sich dadurch von anderen Grippewellen unterscheidet, dass vor allem jüngere Leute betroffen sein werden, kann niemand vorhersagen.

Quelle: Welt Online