Im April 1998 revolutionierte ein Potenzmittel das Sexleben der Männer: Viagra. Seitdem sind Millionen Packungen des Mittels gegen Erektionsstörungen verkauft worden. Der Pharmakonzern Pfizer, der die Pillen vertreibt, scheffelt Milliarden. Mittlerweile gibt es drei unterschiedliche Mittel.
Jack Nicholson soll einmal gesagt haben: „Viagra? Das nehme ich nur, wenn ich mit mehr als einer Frau zusammen bin.“ Dieser ein wenig zynisch klingende Satz beschreibt die Vor- und Nachteile der Potenzpille recht gut, denn Männern mit Erektionsstörungen hilft sie dabei, den Schwellkörper zu aktivieren – Männer ohne solche Probleme beschreiben das Phänomen des nicht nachlassenden Dauerhochs dagegen als eher lästig.
Vor zehn Jahren kam Viagra auf den Markt. Und löste eine pharmakologisch-sexuelle Revolution aus, wie es sie seit der empfängnisverhütenden „Pille“ Anfang der 60er-Jahre nicht mehr gegeben hatte. Die Angst vor Impotenz, die Männer seit Jahrtausenden um den Schlaf bringt, schien durch Viagra mit einem Mal beseitigt zu sein. Das zeigt auch der Verkaufserfolg. Im April 1998 kam das Mittel in den USA auf den Markt, innerhalb der nächsten vier Wochen unterschrieben Ärzte mehr als 300.000 Viagra-Rezepte. Schnell entwickelte sich die Arznei zum sogenannten „Blockbuster“, einem jener wenigen Medikamente, die mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr umsetzen. In den zehn Jahren seit der Einführung haben sich mehr als 30 Millionen Männer in 120 Ländern Viagra verschreiben lassen. Weitere Millionen haben es sich über das Internet oder auf dem Schwarzmarkt besorgt.
Ein Milliardengeschäft für den Hersteller, den Pharmakonzern Pfizer, der das Patent auf den Viagra-Wirkstoff Sildenafil bis 2011 besitzt. Und eine Herausforderung für dessen Mitbewerber, ähnlich zuverlässig wirkende Potenzmittel zu entwickeln. Mittlerweile gibt es deren drei. Neben Viagra sind das Cialis, das der Pharmakonzern Eli Lilly seit 2002 weltweit in die Apotheken brachte, sowie Levitra, ein Gemeinschaftsprodukt von Bayer und GlaxoSmithKline aus dem Jahr 2003. Alle drei Pillen wirken nach dem gleichen Prinzip. Die Auswirkungen auf den Patienten sind aber je nach Pille durchaus unterschiedlich.
So funktioniert Viagra
Die für eine Erektion nötige Blutzufuhr in den Penis wird durch kleine Muskeln gesteuert. Im nicht erigierten Zustand sind diese Muskeln angespannt und verschließen die Blutgefäße des männlichen Schwellkörpers. Eine sexuelle Stimulation führt beim Mann innerhalb dieser Muskelzellen zur Ausschüttung einer chemischen Substanz mit der Abkürzung cGMP (cyklisches Guanosinmonophosphat). Dadurch entspannt sich der Muskel, Blut fließt ein, und das männliche Glied richtet sich auf. Damit dieser Zustand nicht ewig anhält, muss das cGMP wieder abgebaut werden. Dies übernimmt ein Enzym mit Namen PDE-5 (Phosphodiesterase-5).
An dieser Stelle setzen Medikamente wie Viagra oder Cialis an. Sie hemmen den Abbauprozess, indem sie die Wirkung des Enzyms PDE-5 blockieren. Dies gelingt ihnen, indem sie das Enzym binden und dieses dadurch nicht mehr zur Aufspaltung an cGMP andocken kann. Das Ergebnis: In den Zellen steht mehr muskelentspannende Substanz zur Verfügung, dadurch fließt mehr Blut in den Schwellkörper ein. Alle drei Mittel gegen krankhafte Erektionsstörungen (sogenannte „erektile Dysfunktion“) wirken auf diese Weise.
Ein Meilenstein medizinischen Fortschritts. Die Geschichte der Potenzmittel auf Basis der Hemmung des Enzyms PDE-5 und damit die Geschichte Viagras begann bereits 1985. In den Pfizer-Forschungslabors im britischen Sandwich war man auf der Suche nach einem neuen Wirkstoff für die Behandlung von Brustengegefühl (Angina Pectoris) und der damit zusammenhängenden Herz-Durchblutungsstörung.
Viagra ist das Potenzmittel des 21. Jahrhunderts
Nach vielen Versuchen synthetisierte man eine Substanz, die sehr zielgerichtet PDE-5 blockierte, und nannte sie Sildenafil. Die Halbwertzeit im menschlichen Körper war mit vier Stunden allerdings zu gering, um als Mittel gegen Angina Pectoris eingesetzt zu werden, zudem waren die durchblutungsfördernden Eigenschaften nicht so ausgeprägt wie erhofft. Einige der Testpersonen berichteten allerdings von einer starken Nebenwirkung: Sie hatten schon nach geringfügigen erotischen Reizen eine Erektion bekommen.
Weitere Analysen ergaben, dass PDE-5 vor allem im Penisschwellkörper des Mannes vorkommt und Sildenafil daher in erster Linie dort wirkt. Die Marketingabteilung schlug den Namen „Viagra“ vor, das Potenzmittel des 21.Jahrhunderts war gefunden. Bis dahin beruhte die Behandlung der organischen Impotenz auf umstrittenen Naturmitteln oder dem Einsatz von Implantaten und Vakuumpumpen.
Die pharmakologische PDE-5-Hemmung ist so effektiv und mit relativ wenigen Nebenwirkungen verbunden, dass mit Cialis und Levitra binnen weniger Jahre zwei weitere Medikamente auf den Markt kommen konnten. Cialis verwendet den Wirkstoff Tadalafil, Levitra den Wirkstoff Vardenafil. Wie die Wirkstoffbezeichnungen schon andeuten, ist die chemische Struktur der Medikamente ähnlich. Sie alle blockieren PDE-5, wirken aber unterschiedlich lang. Über weitergehende Unterschiede wie beispielsweise dem Härtegrad der Erektion herrscht in der Wissenschaft Uneinigkeit. Viele der Studien, die Vor- oder Nachteile der Mittel untersuchen, werden durch einen der drei Hersteller finanziert.
Millionen Packungen werden jährlich verkauft
Levitra jedenfalls ist für den eiligen Patienten geeignet. Es wirkt bereits nach 40 Minuten, eine Studie unter Alltagsbedingungen will sogar ein Anfluten innerhalb von zehn Minuten bei einigen Männern nachgewiesen haben. Viagra-Nutzer brauchen mit rund einer Stunde „Vorbereitungszeit“ etwas länger, dafür soll anekdotischen Berichten zufolge die Erektion auch kräftiger ausfallen als bei den beiden anderen Mitteln. Cialis wiederum benötigt zwar etwas mehr Zeit bis zur Entfaltung im Körper des Mannes, wirkt dafür aber deutlich länger.
Während die erektionsfördernde Wirkung bei Viagra vier bis sechs Stunden und bei Levitra acht bis zwölf Stunden anhält, kann sie bei Cialis bis zu 36 Stunden betragen. Morgens genommen besteht den ganzen Tag die Möglichkeit zum Koitus, dosisabhängig sogar noch am nächsten Morgen, weshalb Cialis mittlerweile auch die „Wochenendpille“ genannt wird.
Obwohl Viagra inzwischen das weltweit bekannteste Medikament und fast zu einem Synonym für Potenzmittel geworden ist, führt auf dem deutschen Markt Cialis vor Viagra und Levitra. Dies liegt vor allem an der längeren Wirkungsdauer, heißt es. Insgesamt, so der Pharma-Dienst IMS Health, wurden 2007 rund zwei Millionen Packungen der Erektionshelfer in deutschen Apotheken verkauft, der Umsatz betrug knapp 117 Millionen Euro. Die Marktanalysten mokieren sich jedoch über den seit ein paar Jahren „stagnierenden Markt“.
Haben die Männer etwa die Lust verloren? Wohl kaum. So wird berichtet, dass es in den USA immer wieder zu Scheidungen kommen soll, weil Ehemänner sich durch Viagra noch einmal zu Höherem berufen fühlen. In Floridas Altersheimen sollen sogar Geschlechtskrankheiten zugenommen haben, weil Rentner sich nach Viagra-Konsum mit Prostituierten vergnügten.
Doch das sind Ausnahmen. Zwar können Viagra und Co. die sexuelle Beziehung eines Langzeitpaares durchaus stimulieren; eine schlechte Ehe werden sie indes nicht retten können. Außerdem ist nicht sicher, dass der demografische Wandel den Markt für Potenzmittel weiter beflügeln wird. Niemand weiß, ob die Generation 60 plus wirklich ein starkes Interesse an ständiger sexueller Aktivität hat. Und einen gravierenden Nachteil haben alle drei Mittel: Sie sind nicht billig, und die Kassen übernehmen die Kosten nur in Ausnahmefällen.
Quelle: Welt Online Wissen