In der modernen Medizin bahnt sich eine Revolution an: Wissenschaftler, Ärzte und Techniker entwickeln vollkommen neue Operationsmethoden, die ganz ohne Verletzungen auskommen. Anstelle der klassischen Eingriffe treten Schall und Licht – die Medizintechnik ist dabei, den Beruf des Chirurgen abzuschaffen.
Früher waren es ein Skalpell und ein tiefer Schnitt. Er verlief meist über mehrere Zentimeter. Heute reichen auch zwei kleine Löcher: eines für den Endoskopie-Schlauch mit der Minikamera an der Spitze, ein weiteres für die Instrumente für die Operation. Diese Arthroskopie-Methode gehört zwar zu den Standardverfahren, um etwa gerissene Kreuzbänder von Fußballern zu richten.
Auch lässt sich mithilfe von Endoskopen bei einer Bauchspiegelung rasch ein Überblick über den Schaden gewinnen – die Operation am Magen etwa kommt meist ohne großen Aufwand aus. Dennoch ist etwa die Arthroskopie nur eine von zahlreichen, in den letzten Jahren neu aufgekommenen Operationstechniken, die mit minimalem Eingriff dem Patienten das Leben und das Gesundwerden erleichtert haben. Ohne diese Methode der geringsten, fast unsichtbaren Verletzung wäre die Schönheitschirurgie nicht zu begründen gewesen.
Diese minimal-invasiven Verfahren beschränken zwar Narben auf das Mindestmögliche. Vermeiden können sie sie jedoch nicht. Jetzt aber stehen Fortschritt und Forschung vor Operationsmethoden, die ganz ohne Verletzungen auskommen – die Ärzteschaft bewegt sich auf das Zeitalter der nicht invasiven, gleichsam unblutigen Chirurgie zu.
In vielen Fällen werden zukünftig operative Eingriffe nicht mehr zwingend sein. Behandlung und Heilung können auch ohne Schnitte, ohne Löcher, ohne Skalpell und Tupfer gelingen. An die Stelle des gewöhnlichen, klassischen Chirurgenbestecks treten Schall und Licht.
Bislang bewährt und erprobt sind Ultraschallwellen. Sie versetzen das Körpergewebe in Schwingungen, bis es sich erwärmt und sich damit leichter für die Durchblutung öffnet – ein Effekt, den Sportmediziner gern nutzen. Diese eher schlichte Methode mit einfacher Wirkung haben medizinische Techniker inzwischen enorm verfeinert. Es ist jetzt gelungen, den Ultraschall so intensiv zu bündeln, dass die Temperatur binnen weniger Sekunden sprunghaft stark ansteigt. Die konzentrierte Hitze reicht aus, einen Tumor zu vernichten oder Blutgerinnsel zu sprengen.
Allerdings lässt sich diese Technik nur dann therapeutisch nutzen, wenn die Strahlen exakt und zuverlässig nur das Zielgewebe treffen. Techniker des israelischen Medizingeräteherstellers InSightec kombinierten daher den Ultraschall mit der Magnetresonanztomografie (MRT). Sie arbeitet im Vergleich mit anderen medizinischen Abbildungsverfahren wie etwa dem Röntgen weitaus präziser.
Zudem sind die Risiken durch die Strahlenbelastung erheblich geringer. Entscheidend jedoch ist, dass die Magnetresonanztomografie ein genaues Bild der Temperaturverteilung im Körper zeichnet. Die Ultraschallhitze ist damit exakt zu platzieren.
Sogar heikle Ziele wie etwa Hirntumore ließen sich damit attackieren, erklärt Wladyslaw Gedroyc vom St.Mary’s Hospital in London. Der englische Chirurg konnte in einer Studie zeigen, dass die Kombination aus Ultraschall und Magnetresonanztomografie in der Behandlung von Uterusgeschwüren weitaus weniger Nebenwirkungen hat als die konventionelle Methode, die Hysterektomie. Bei ihr wird die Gebärmutter komplett oder in günstigen Fällen nur teilweise entfernt. Die Patientinnen erholten sich schnell nach der Ultraschalloperation. Sie könnten schon kurz nach der Behandlung wieder in den Alltag entlassen werden, so Gedroyc.
Dennoch hat das Verfahren seine Nachteile. Es verlangt dem Patienten Geduld und Ausdauer beim Stillsitzen ab für viele Magnetresonanztomografie-Schnittbilder. Aufwand und Kosten der Prozedur sind deshalb immens. Allerdings gibt es zu diesem Verfahren eine attraktive, preisgünstige Alternative. Sie stammt von einem amerikanischen Medizinunternehmen, das in Seattle ein alternatives Verfahren zur Anwendungsreife entwickelte.
Die Apparaturen von Mirabilis Medicain vernichten zwar ebenfalls, wie im Londoner Verfahren, per Ultraschall das kranke Gewebe. Aber zuvor machen erheblich sanfter dosierte Ultraschallwellen den Krankheitsherd erst einmal sichtbar – das Gerät erstellt ein Bild ganz nach der herkömmlichen Ultraschalldurchleuchtungsmethode, wie sie etwa bei Schwangerschaftsuntersuchungen gang und gäbe ist. Danach fährt der Arzt die Intensität des Ultraschalls mit einer Transducer-Kette auf Zerstörungsintensität hoch – und das kranke Gewebe verdampft.
Dieses Ultraschall-Zappen ist nicht nur um ein Vielfaches preiswerter als die Magnetresonanztomografie-Kombination. Es ist auch unproblematischer und schneller. Denn der Therapeut muss, wenn er das Ziel ausgemacht hat, nur noch einen Fire Button am Ultraschallgerät drücken – ähnlich wie bei einem Videospiel. Dadurch lässt sich ein Uterusgeschwür innerhalb von 30 Minuten zerstören. Beim Ultraschall/ Magnetresonanzverfahren kann das bis zu maximal vier Stunden dauern.
Allerdings kommen Ultraschallbilder nicht auf die detailgenaue Qualität der Magnetresonanztomografie. Diese liefert durch die gleichsam geschichtet-scheibchenweise Belichtung nicht nur viel exaktere Bilder. Sie ist auch bei schwer zugänglichen Gewebezonen noch genau, beispielsweise hinter Knochen.
InSightec lässt derzeit sein Verfahren für einige Anwendungen, darunter auch Tumorerkrankungen, durch die Gesundheitsbehörden prüfen. Eine Zulassung durch die US-amerikanische Food and Drug Administration steht bevor.
Doch es gibt noch andere schallgeleitete OP-Verfahren – und die sind noch weiter entfernt von der traditionellen Chirurgie. Es sind Methoden, die nicht auf die Zerstörung kranken Gewebes zielen, sondern der Gesundung und Wiederbelebung dienen. Diese regenerierende Chirurgie gelingt vor allem bei Nervenerkrankungen, Parkinson etwa.
Es ist zwar ein übliches Verfahren, Patienten Elektroden einzusetzen, um gezielt Areale in den tieferen Hirnregionen zu stimulieren und dadurch Symptome wie Zittern und Muskelverhärtung zu lindern. Mehr als 50000 Menschen weltweit haben diese Hirnschrittmacher erhalten. Allein in Deutschland lassen sich 400 Kranke diese Elektroden implantieren. Dazu allerdings muss der Schädel aufgebohrt werden, was immer mit gefährlichen Blutungen oder Infektionen einhergehen kann.
William Tyler von der Arizona State University entwickelte daher eine Maschine, die mit Ultraschall als Hirnschrittmacher arbeitet. Der amerikanische Neurologe fand heraus, dass der Schall jenseits der menschlichen Hörkurve, sofern er mit relativ niedriger Intensität und Frequenz ausgesendet wird, im Hirn die Produktion von elektrischen Signalen und Botenstoffen anregt. Bei Mäusen konnten Wissenschaftler schon das Bewegungszentrum stimulieren. Taylor ist sicher, dass dies auch beim Menschen funktioniert.
Damit wäre eine Schädelbohrung zu umgehen, was nicht nur die Kosten, sondern auch das Risiko bedeutend senken würde. Dem Parkinson-Patienten bliebe viel Leid erspart, hofft Tylor: “Wir könnten ihn einer Tiefenhirnstimulation unterziehen, bevor seine Erkrankung weit fortgeschritten ist.” Wegen der hohen Risiken ist die Elektroden- und Schädelbohr-Methode nur auf hoffnungslose Fälle beschränkt, auf Patienten, die auf keine medikamentöse Behandlung mehr reagieren.
Seung-Schik Yoo, Radiologe an der Harvard Medical School in Boston, ist zudem überzeugt, dass sich mithilfe der neuen Ultraschallhirnchirugie künftig auch psychische Erkrankungen wie etwa Ängste und Depressionen behandeln lassen. Und Übergewicht, hofft Yoo. Denn dessen Ursachen lägen überwiegend im Appetitzentrum des Gehirns.
Doch Schall ist nicht der einzige Weg, um die Tiefen des Hirns ohne Operation und Elektroden zu aktivieren. Karl Deisseroth von der Stanford University in Kalifornien sieht auch im Licht eine Option. Der Psychologe und Bioingenieur fand in Experimenten an einzelligen Algen und Bakterien heraus, dass diese Organismen unter Blau- oder Gelblicht verstärkt Natrium- oder Chlorid-Ionen in ihren Zellkörper einströmen lassen. Auch menschliche Nervenzellen reagierten auf Natrium- und Chlorid-Ionen. Sie werden aktiv, wenn sie Natrium einlassen, verhalten sich aber passiv, wenn Chlorid in sie eindringt.
Einzeller wie Algen oder Bakterien könnten mithin als eine Art neurologische Ionenpumpe dienen. Werden menschliche Neuronen mit dem lichtempfindlichen Erbgut der Algen und Bakterien geimpft, beginnen auch sie, ihre Ionenkanäle abhängig vom Licht zu öffnen: Sie werden aktiv, wenn man sie mit Blaulicht bestrahlt, und passiv, sofern sie in Gelb getaucht werden.
“Es lassen sich dann gezielt bestimmte Hirnareale aus- oder einschalten”, so Deisseroth. Das Problem dabei: Blaue und gelbe Lichtwellen dringen nicht durch die knöcherne Schädeldecke. Es wäre also doch wieder ein Loch vonnöten, um eine Leuchtdiode ins Hirn zu bringen. Aber auch das lässt sich durch eine Genmanipulation umgehen: Verändert man das Erbgut der Einzeller, sodass sie auf Infrarot reagieren, ist die Sache gewonnen, sagt Deisseroth. Denn infrarotes Licht durchdringe auch Schädelwände. Genau daran arbeitet man derzeit an der Stanford University.
Quelle: Welt Online