Es gibt Legenden, die der Wahrheit einfach nicht weichen wollen: Sogar fundierte Beweise können sie nicht aus der Welt schaffen. Weil diese Legenden auch unter Ärzten verbreitet sind und weitererzählt werden, haben US–Mediziner nun eine Liste von Irrtümern im “British Medical Journal” aufgestellt.
“Es stimmt nicht, dass Lesen bei schummrigem Licht schädlich für die Augen ist”, schreibt Rachel C. Vreeman von der Indiana University of Medicine und Professor Aaron E. Carroll, Kinderarzt am Regenstrief Institute aus Indianapolis. Es sei eher so, dass schummriges Licht die Augen mehr anstrengen als helles. Das Fokussieren sei anstrengender, und da wir im Dämmerlicht seltener blinzeln, wäre der Augapfel trockener. Das, so die Forscher, führe wiederum zu einem Müdigkeitsempfinden.
Eine weitere Legende: Wer sich häufig rasiert, dessen Haare wachsen immer schneller und immer stoppelig-dicker nach. “Stimmt gar nicht”, so die Mediziner. “Bereits 1982 hat eine klinische Studie gezeigt, dass Rasieren keinen Einfluss auf das Haarwachstum hat.” Beim Rasieren werde ja nur der abgestorbene Teil des Haares angetastet – die Haarwurzelzellen hingegen würden nicht beeinflusst. “Der Eindruck, dass die neuen Haare stoppeliger sind, kommt daher, dass sie kein feines, spitz zulaufendes Ende haben, da sie ja vom Rasieren abgeschnitten wurden”, so die Mediziner. “Außerdem sehen die nachwachsenden Haare dunkler aus, weil sie noch nicht von der Sonne oder von chemischen Prdukten gebleicht wurden.”
Legende drei der Amerikaner: Mindestens zweieinhalb Liter Wasser trinken am Tag. “Vermutlich beruht diese Empfehlung auf einer Aussage, die 1945 in Umlauf gebracht wurde. Darin heißt es unter anderem: Für jede Kalorie, die Sie zu sich nehmen, sollten Sie einen Milliliter Flüssigkeit trinken.” Dass solche Angaben nicht stimmen, habe eine große Studie im “American Journal of Physiology” gezeigt. Je nach körperlicher Leistung müsse mal mehr, mal weniger getrunken werden. Normalerweise sei aber in Säften, Milch, Kaffee, Tee und Obst und Gemüse genügend Flüssigkeit enthalten.
Nur 10% unserer Hirnmasse werden überhaupt genutzt. “Auch das stimmt nicht”, so Vreeman und Carroll. Vor ziemlich genau 100 Jahren sei dieses Gerücht in die Welt gesetzt worden – und es halte sich erstaunlich gut angesichts von modernen Hirnaktivitätsmessungen. Dabei sei so ziemlich das Gegenteil der Fall. “Manche bildgebenden Verfahren zeigen, dass kein Gebiet unseres Gehirns komplett inaktiv ist”, schreiben die beiden Forscher.
Die Mediziner gehen in ihrem Text sogar so weit, eines der gruseligsten Geheimnisse der Horrorwelt kleinzuschreiben. Nach dem Tod wachsen Fingernägel und Haare keinesfalls weiter. Die Filmindustrie hat also keinerlei Grundlage dafür, Tote die ins Diesseits zurückkehren, mit langen Krallen und zotteligen Haaren auszustatten. “Dass es manchmal so aussieht, als würden die Fingernägel von Toten weiter wachsen, liegt an einem einfachen physikalischen Phänomen”, so die Forscher. “Die Zellen verlieren nach dem Tod einfach Flüssigkeit, die Hautzellen aus dem weichen Gewebe der Nagelhäute beispielsweise sehr viel.” Dadurch, dass die Nagelhaut “austrocknet” und sich zurückzieht, könne es so aussehen, als würden die Nägel länger.
-Material: WELT ONLINE-