Die gefährliche Blutvergiftung kann jeden treffen

Viele denken, über eine Sepsis müssten sich nur Risikopatienten Sorgen machen. Doch fast die Hälfte aller Fälle betrifft zuvor Gesunde – und die Symptome sind nicht leicht zu erkennen.

Das Wort Blutvergiftung kennt jeder – was es aber genau bedeutet, das wissen viele schon nicht mehr. Dabei ist die Sepsis die dritthäufigste Todesursache in Deutschland, auf den Intensivstationen sogar die häufigste: Rund 180.000 Menschen in Deutschland entwickeln sie pro Jahr. Oft bildet sich eine solche Blutvergiftung infolge schwerer Erkrankungen, etwa nach einer Lungenentzündung oder nach großen Operationen.

Dabei wird der ganze Körper von Erregern geradezu überschwemmt, und es kommt innerherhalb kürzester Zeit zu heftigen Entzündungen, mit denen sich der Organismus mit aller Kraft gegen die Eindringlinge zu wehren versucht. Die inneren Organe schwellen an, der Kreislauf kollabiert und der Organismus verfällt schließlich in einen Schockzustand. Gleichzeitig wird die Blutgerinnung so überaktiv, das die Adern verstopfen.

Im schlimmsten Fall versagen am Ende Nieren, Leber, Lunge und Herz. Rund ein Drittel aller Patienten stirbt daher trotz meist sehr schneller intensivmedizinischer Versorgung an den Folgen der außer Kontrolle geratenen Infektion. Besonders gefährdet sind Menschen, deren Immunsystem bereits im Vorfeld geschwächt war. Ihre körpereigene Abwehr reagiert verzögert auf Erreger – die dadurch mehr Zeit haben sich auszubreiten und schwerer wieder beherrschbar gemacht werden können.

Risikofaktor Nummer eins: Lungenentzündung

Doch grundsätzlich kann sich jeder eine Blutvergiftung zuziehen, auch völlig gesunde Menschen, wie eine US-Studie zeigen konnte: 44,5 Prozent der Betroffenen waren vorher völlig gesund. Oft reicht schon ein kleines Malheur im Haushalt, und eine winzige Verletzung infiziert sich. „Das kann eine Schnittverletzung bei der Essenszubereitung sein oder eine Verbrennung beim Grillen“, sagt Gernot Marx von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).

Selbst Zahnentzündungen oder Blasenentzündungen kommen als Ursache für eine Blutvergiftung infrage. Der größte Risikofaktor allerdings, so der Mediziner, sei eine Lungenentzündung. Ein Grund dafür, warum die Blutvergiftung oft einen ungünstigen Verlauf nimmt, ist, dass sie nur schwer zu erkennen ist. Selbst Ärzte haben häufig Schwierigkeiten damit, die Symptome richtig zu deuten, wenn sie nur selten damit zu tun haben.

Die Symptome ähneln denen einer Grippe: Die Betroffenen quälen Fieber und Schüttelfrost, sie haben Herzrasen, einen niedrigen Blutdruck und eine höhere Atemfrequenz als normalerweise. Häufig wirken sie auch benommen oder desorientiert. Auffällig ist ebenfalls, dass es den Erkrankten oft trotz der Erschöpfung schwer fällt zu schlafen. Bei einer Sepsis aufgrund einer Wunde ist die Diagnose in aller Regel etwas einfacher. Meist schwillt diese rot an, pocht und schmerzt.

Übrigens: Entgegen der häufigen Annahme ist ein roter Strich, der sich zum Herzen hin ausbreitet, kein Anzeichen für eine Sepsis, sondern Symptom einer Lymphangitis. Bei dieser Krankheit sind die Lymphbahnen entzündet. Das sind die Gefäße, in denen Lymphflüssigkeit zu den Lymphknoten fließt. Die Lymphangitis kommt recht häufig vor, ist aber gut behandelbar.

Wer unter den oben genannten Symptomen leide und sich zuvor eine Wunde oder Verletzung zugezogen habe, solle nicht zögern, sofort in ein Krankenhaus zu fahren oder einen Notarzt zu rufen, rät Marx. Sollte der Arzt eine Sepsis diagnostizieren, bekommen die Betroffenen umgehend Breitbandantibiotika, die gegen viele Erreger gleichzeitig wirken.

Antibiotika und eine künstliche Milz können helfen

Die Ergebnisse neuer Studien zeigen, dass bei schwerer Sepsis Antibiotika bis zu vierfach höher dosiert werden sollten als eigentlich empfohlen. Der Grund ist Folgender: Viele Sepsis-Patienten scheiden die Wirkstoffe über die Nieren schneller aus, sodass sich die Wirkung der Medikamente abschwächt. Da auch wichtig ist, wie schnell die Medikamente verabreicht werden, gibt es inzwischen auch einige wenige Medikamente, die das Fortschreiten der Sepsis so lange aufhalten, bis die Ärzte die Keime identifiziert und die passenden Antibiotika verabreichen können.

Ganz ohne Antibiotika funktioniert hingegen ein neues medizinisches Gerät, das sich an der Funktionsweise der Milz orientiert. Dem US-Mediziner Donald Ingber von der Harvard-Universität in Cambridge und seinem Team gelang es im Labor erst kürzlich, mithilfe winziger magnetischer Kügelchen die Krankheitserreger aus dem infizierten Blut zu fischen. Bei Ratten entfernte diese künstliche Milz mehr als 90 Prozent der Erreger aus dem Blut, schreiben die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature Medicine“.

Bis das Gerät praktisch einsetzbar ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen – doch angesichts der wachsenden Antibiotikaresistenzen ist es wichtig, alternative Behandlungsmethoden zu entwickeln und zu testen, die nicht auf der Basis von Antibiotika funktionieren. Um sich erst gar keine Blutvergiftung zuzuziehen, rät Experte Marx vor allem zu sorgfältiger Hygiene. Jede Wunde, sei sie auch noch so klein, sollte gründlich gereinigt und desinfiziert werden, sagt er. Dadurch sinke das Risiko einer eventuellen Infektion deutlich.

Risiko-Patienten sollten sich gegen Pneumokokken impfen lassen

Außerdem rät der Mediziner Menschen über 60 Jahren, Kindern und Risikopatienten, etwa Diabetikern, Krebskranken, Menschen mit HIV oder Aids und anderen, die zum Beispiel aufgrund von Medikamenten ein geschwächtes Immunsystem haben, sich vorbeugend gegen Pneumokokken impfen zu lassen. Bei Pneumokokken handele es sich um die häufigsten Erreger für Lungenentzündung. Viele der betroffenen Patienten ziehen sich dabei auch eine Sepsis zu.

Der in diesem Jahr zum dritten Mal begangene Welt-Sepsis-Tag soll zur Aufklärung über die Erkrankung beitragen und die Präventionsmöglichkeiten durch Hygiene und Impfungen hervorheben. Bereits im vergangenen Jahr wurde zu diesem Zweck auch die von vielen Organisationen unterstützte Welt-Sepsis-Deklaration veröffentlicht. Ein Ziel der Deklaration ist es, die Zahl der Sepsiserkrankungen bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent zu senken.

Das soll unter anderem durch weniger Krankenhausinfektionen und strukturierte Impfprogramme erreicht werden. Außerdem wird von den Experten angestrebt, innerhalb der kommenden fünf Jahre die Früherkennung von Blutvergiftungen zu verbessern und so langfristig die Sterberate der Patienten um zehn Prozent zu senken.

Quelle: Welt Online