Ibiza, Türkei oder Griechenland – wenn gestresste Deutsche in den Urlaub fahren, geben sie sich gerne mal einem Flirt unter südlicher Sonne hin. Doch vergessen Sie den Gedanken an die ewige Liebe, die unter Palmen begann, am besten ganz schnell wieder: Binationales Flirten funktioniert nur bis zum Ferienende.
Thailand ist das Land des Lächelns. Amerika das „Land of the Free“. Und Brasilien ist das Land der schönen Menschen. Das ist zwar eher halb offiziell, aber wer Beweise braucht, kann sich ja ein paar Modenschauen mit Gisele Bündchen, Adriana Lima und Alessandra Ambrosio anschauen. Oder einfach nach Rio fliegen. Rund eine Viertelmillion Deutsche reisen jedes Jahr nach Brasilien und einer Umfrage des Fremdenverkehrsamts zufolge blieben sie zumindest 2007 länger als jeder andere internationale Besucher. Im Durchschnitt 19 Tage. Warum die deutschen Touristen im Einzelfall so gern verlängern, diese Daten hat das Amt nicht veröffentlicht. Vermutlich waren es einfach zu viele verschiedene Gründe: Ana, Antonio, Beatriz, Luíz …
Tausende Menschen kehren in diesen Tagen aus ihren Sommerurlauben zurück und werden ein bisschen nachdenklich, was ihr Leben betrifft. Sie fragen sich, was aus ihrem Ferienflirt hätte werden können. Falls Sie dazugehören, können Sie jetzt aufhören zu grübeln. Ich sage Ihnen, was daraus hätte werden können: nichts. Nada. Niente. Das ist zumindest meine persönliche Erfahrung. Ich bin nämlich xenophil, ich liebe das Fremde. Meine zwei längsten Beziehungen hatte ich mit Männern, die keinen deutschen Pass hatten. Einer war Engländer, der andere Türke. Beide Partnerschaften funktionierten wunderbar. Zumindest an ihren Ausgangspunkten.
Einer davon war in Cornwall, England, anderthalb Stunden von Plymouth entfernt. Ich fuhr dort hin, um ein Jahr lang als Au-pair bei einer Gastfamilie zu leben. Mein Gastvater hatte einen Pub – und an der Bar arbeitete Aaron. Als ob die Tatsache nicht schon cool genug gewesen wäre, spielte er Bass in einer Band, kannte – im Gegensatz zu mir – die halbe Stadt und redete – im Gegensatz zu mir – mit allen in einwandfreiem Englisch. Ich bewunderte ihn sehr. Er mich nicht. Wie auch? Selbst wenn ich Deutschlands größte Dichterin und Denkerin gewesen wäre – mein holpriges Pseudo-Amerikanisch aus der Schule hätte es niemandem vermitteln können.
Nach ein paar Monaten beherrschte ich die englische Sprache immerhin so gut, dass ich ein paar zweideutige Bemerkungen machen konnte. Eventuell hatte auch mein Bauchtänzerinnen-Silvesterkostüm Einfluss auf die spontane Intensivierung unserer Beziehung. Wir wurden ein ziemlich klassisches Paar. Ich kümmerte mich tagsüber um das Kind und den Haushalt meiner Gastfamilie, Aaron arbeitete. Die Abende verbrachten wir meistens auf die britische Art: trinkend im Pub, Monty Python und UK-Entertainer Bruce Forsyth imitierend. Schreiend komisch! Das Einzige, was mir nicht so gefiel, waren seine Fleece-Pullover. Aber darüber konnte ich locker hinwegsehen, denn wir waren sehr glücklich.
Nach meiner Rückkehr nach Deutschland besuchte er mich über Weihnachten in Hamburg. Nun war er derjenige, der mit niemandem reden konnte. Wie er so ohne Bar, ohne Bier, ohne Bass vor mir stand, erschien er mir plötzlich in einem ganz anderen Licht. In unbarmherzigem Neonlicht. Es fing mit relativ harmlosen Situationen an. Er war zum Beispiel verärgert darüber, dass die britische Drogeriekette „Boots“ keine Filiale im Alstertaler Einkaufszentrum hatte. Dann warf er mir vor, dass es in „meinem“ Land nicht an jeder Ecke einen Pub gab. Er fing trotzdem um 18 Uhr an Bier zu trinken und Monty Python zu imitieren. Meine Freunde lächelten mich mit traurigen Augen an. Irgendwie schien ich ihn wirklich „missverstanden“ zu haben.
War es meine soziale Unterlegenheit in England gewesen, die mich bedingungslos zu ihm hatte aufschauen lassen? Allmählich dämmerte mir, dass ich sein bloßes Beherrschen der Muttersprache unbewusst als Intelligenz interpretiert hatte – und er in Wahrheit ein Idiot war. Allein jemand, der „Baby“ zu mir sagt, hätte mich in Deutschland schon misstrauisch gemacht. Ich musste diesen Mann so schnell wie möglich loswerden.
„What goes around comes around“ ist ein englisches Sprichwort. Aber sind Menschen, die es verwenden, genauso uncool wie Deutsche, die sagen „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“? Jedenfalls schallte es heraus, ziemlich laut sogar. Denn ein paar Jahre später bekam ich ab, was ich damals ausgeteilt hatte – ein Mann schob mich ab, sobald ich die Staatsgrenze übertreten hatte. Wir waren zwei Jahre zusammen, ich hatte mich sofort in ihn verliebt. Er war in Deutschland aufgewachsen, aber türkischer Staatsangehöriger. Jeden Tag sah ich ihm in die Augen und dachte: Es gibt nichts Weltliches, was dieses Glück außer Kraft setzen könnte. Gab es aber doch: Pauschalurlaub in der Türkei.
Eine Woche lang stand ich neben ihm, während er sich auf Türkisch mit allen Hotelangestellten und Gästen unterhielt. Er bemühte sich nicht, mir irgendetwas zu übersetzen. Als Deutschland im EM-Halbfinale gegen die Türkei spielte, trug er ein T-Shirt mit der türkischen Flagge und umarmte Fremde, wenn die Türken ein Tor schossen. Es ging ihm nicht um Fußball. Er war das erste Mal in dem Herkunftsland seiner Familie und wollte endlich sein Identitätsproblem lösen. Und die Türken nahmen ihn, ganz im Gegensatz zu den Deutschen, mit offenen Armen auf. Das war rührend mitanzusehen, aber auch wahnsinnig rücksichtslos von ihm.
Zwischen Männern und Frauen gibt es schon genug Missverständnisse. Es wäre also klug, sie nicht noch durch sprachliche oder kulturelle Differenzen zu vervielfachen. Aber darauf nimmt die Liebe, typisch, keine Rücksicht. Nach Angaben des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften ist in deutschen Großstädten ungefähr jede dritte Ehe binational. Glücklicherweise funktionieren davon auch welche. Statistisch betrachtet wird die Konstellation ausländische Frau und deutscher Mann weniger oft geschieden. Förderlich ist auch, wenn jeder die Sprache des anderen (plus Englisch) spricht. Vielleicht lautet die Regel: Je intensiver man kommunizieren kann, desto besser?
Es gibt allerdings eine Form der Beziehung, auf die das ganz und gar nicht zutrifft: die Urlaubsliebe. Denn die Zeit mit Ana, Antonio, Beatriz oder Luíz wird gerade durch ihre Sprachlosigkeit so zauberhaft. Jede Eigenschaft der Welt kann man in dieses wunderbare Lächeln projizieren. Man darf nur nicht die Abreise versäumen.
Umfrage, Ergebnis aus 215 abgegebenen Stimmen
- 19 % – Nein, dazu sind die kulturellen Unterschiede zu groß.
- 27 % – Nein, Fernbeziehungen sind sowieso zum Scheitern verurteilt.
- 54 % – Natürlich, die große Liebe kann man überall finden.
Quelle: Welt Online