Wer will jetzt noch zum Organspender werden?

Der erneute Betrug beim Handel mit menschlichen Organen ist verstörend. Das Vertrauen der Patienten muss mit stärkeren Kontrollen zurückgewonnen werden, denn die Organspende ist und bleibt notwendig.

Ein Akt krimineller Energie ist es, der Patienten, Ärzte und Organspender aufschreckt: An der Göttinger Universitätsklinik haben Mediziner offenbar Krankenakten gefälscht, um eigenmächtig ausgewählten Patienten, die auf eine Spenderleber warteten, schneller zum Ersatzorgan zu verhelfen. Patienten, die nicht zum Kreis dieser Ausgewählten zählen, rutschten so auf der Warteliste weiter nach hinten, mussten länger warten, starben vielleicht sogar. Man fragt sich, warum so etwas im straff durchorganisierten europäischen Transplantationswesen passieren kann.

Die Manipulation ist zu einfach

Lebertransplantationen müssen in der Regel sehr schnell erfolgen: Oft wird das Organ durch eine Vergiftung zerstört. Anders als bei einem Nierenschaden, bei dem der Patient zur Not noch an die Dialyse angeschlossen werden kann, drängt die Zeit für Leberempfänger enorm. Deshalb werden nur drei Blutwerte im Blut potenzieller Empfänger bestimmt: Wer die schlechtesten Werte hat, der bekommt als Erster ein neues Organ. Die Transplantationsliste für diese Leberpatienten zu manipulieren aber ist vergleichsweise einfach. Denn Laborwerte lassen sich leicht fälschen, wie der Fall Göttingen zeigt. Mehr als zwei Dutzend Mal soll ein verantwortlicher Arzt Patienten so auf der Liste nach oben gepfuscht haben.

Eine solche Manipulation kann man nur unterbinden, wenn die Kliniken besser kontrolliert werden. Wenn also keine Möglichkeit besteht, Laborwerte nach Gutdünken (oder nach der Höhe eines möglicherweise angebotenen “Extrahonorars”) anzugeben. Die zuständige Ständige Kommission der Deutschen Ärztekammer muss verschärfte Überprüfungen anordnen, damit Transplantationskliniken durch solche unangekündigten Kontrollbesuche am Betrug gehindert werden.

Kein Grund, einen Organspendeausweis abzulehnen

Das Schlimme an dem Göttinger Skandal ist auch, dass er gerade jetzt aufgeflogen ist. Derzeit wird ohnehin über das Organtransplantationsgesetz debattiert. Und wer will in einem offenbar leicht manipulierbaren System zum Organspender werden? Wer will seine Leber dafür hergeben, dass sich Kriminelle daran bereichern?

Dennoch ist dieser neue Transplantationsskandal kein Grund, einen Organspendeausweis abzulehnen. Denn zum Organspender wird, wer nach seinem Tod kranken Menschen helfen möchte. Mit seinen eigenen Organen. Sie sollen den Patienten nützen, denen es gerade am schlechtesten geht. Wenn das System der Organspende eine Zukunft haben soll, ja wenn noch mehr Menschen sich zu einer Spende ihrer Körperteile bereit erklären sollen, dann darf ihr Vertrauen darauf, dass alles korrekt abläuft, nicht missbraucht werden.

Quelle: Welt Online